Rhena Wolf führt als Steuerberaterin eine Kanzlei in Mannheim mit 12 Mitarbeitenden in zweiter Generation. Daneben ist sie seit 2019 als Coach tätig – eine Aufgabe, die sie generell als Disziplin für Steuerberaterinnen und Steuerberater geboten sieht. Das gilt sowohl für den Aspekt der Beratung als auch für die Vorbildrolle.
Frau Wolf, weshalb brauchen Mandantinnen und Mandanten mehr als nur steuerliche Beratung?
Rhena Wolf: Viele rödeln die ganze Zeit, stecken im Tagesgeschäft fest und merken, dass das kein dauerhaft guter Zustand ist. Sie haben aber oftmals ‚Unternehmertum‘ nicht gelernt und wissen von daher überhaupt nicht, wo sie ansetzen sollen, um eine positive Veränderung herbeizuführen. Ich denke, ich stelle einfach andere Fragen als viele meiner Kolleginnen und Kollegen.
Welche sind das?
Zum Beispiel ganz oft, wie viele Stunden die Mandanten im Unternehmen arbeiten. Das sind zwar meist ungefähr 40 pro Woche, aber das Rechnungswesen, die Mitarbeiterthemen und so weiter – all das wird abends und am Wochenende erledigt und kommt somit oben drauf. Und beinahe ebenso oft stellt sich im weiteren Gesprächsverlauf schnell heraus, dass die berühmte Metapher von Abraham Lincoln für viele ganz hilfreich wäre: ‚Wenn ich acht Stunden Zeit hätte, um einen Baum zu fällen, würde ich sechs Stunden die Axt schleifen.‘ Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Sie haben alle keine Zeit, die Axt zu schärfen, weil sie denken sie selbst müssen die Bäume fällen. Damit sind Überforderung und Probleme vorprogrammiert.
Wir haben die Kanzlei quasi einmal auf links gedreht.
Wie sind Sie dazu gekommen, als Steuerberaterin Unternehmer-Coaching anzubieten?
Durch eigene Erfahrung. Als ich 2011 aus der Elternzeit in die Kanzlei, die ich mit meiner Mutter gemeinsam geführt habe, zurückkam, geriet ich genau in die geschilderte Situation: Wir hatten damals zwar vier Mitarbeitende, versanken aber unter Stapeln von Akten – damals waren wir noch nicht digital – und erstickten im Fristendruck. Wir haben jedes Telefonat angenommen, alles immer versucht, sofort zu erledigen. Mir war klar: so nicht, das mache ich nicht mit. Also haben wir uns auf die Suche nach Unterstützung begeben und ein langfristiges, intensives Kanzleicoaching über zwei Jahre begonnen.
Das führte dazu, dass wir die Kanzlei quasi einmal auf links gedreht haben. Wir führten ein Sekretariat ein und veränderten auch grundlegend die allermeisten Prozesse. Das hat uns weitergebracht, und dabei merkte ich: Das ist voll mein Ding – Weiterentwicklung von Menschen, die Entdeckung und Nutzung ihrer Potenziale. Deshalb habe ich mich selbst zum Coach weitergebildet.
Ich bin der Überzeugung, dass ich insgesamt sehr viel mehr Nutzen bringen kann, wenn ich die beiden Dienstleistungen ‚Steuerberatung‘ und ‚Unternehmenscoaching‘ verbinde.
Ihre Mutter hat diesen Weg von Anfang an voll unterstützt?
Absolut, sie war selbst total erschöpft, hat regelmäßig samstags gearbeitet. Auch heute noch kann ich vor ihr nur den Hut ziehen, was das Thema ‚Innovationsbereitschaft und Agilität’ angeht: Da nimmt sie es mit ihren 74 Jahren locker mit jeder 50-Jährigen auf. Wir haben damals ordentlich Geld in die Hand genommen und einen sehr hohen Betrag investiert. Doch das Ergebnis hat uns weitergetragen und unseren Fokus und unser Mindset so verändert, dass wir erfolgreich wachsen konnten. Und mich hat es durch die persönliche Entwicklung angefixt, selbst als Coach aktiv zu werden. Ich habe mich erst zur Wirtschaftsmediatorin weitergebildet, anschließend zum Business-Coach. Phasenweise habe ich sogar überlegt, ganz auf das neue Standbein zu setzen und die Kanzlei zu verkaufen.
… was Sie dann aber nicht getan haben…
Nein, ich hänge heute nicht mehr dem Entweder-Oder an und bin der Überzeugung, dass ich insgesamt sehr viel mehr Nutzen bringen kann, wenn ich die beiden Dienstleistungen ‚Steuerberatung‘ und ‚Unternehmenscoaching‘ verbinde. Mich begeistert nach wie vor, wie viel oft kleine Veränderungen bewirken können. Hierbei geht es um Reflexion und Bewusstmachen von Automatismen und Mustern, die uns irgendwann nicht mehr weiterbringen. Diese gilt es zuerst zu erkennen und dann zu verändern. Denn es steckt ein riesiges Potenzial in jedem Menschen, und es ist mir eine Herzensangelegenheit, dabei zu unterstützen, dieses sichtbar und spürbar zu machen.
Ihre Mandantinnen und Mandanten kommen dabei im Wesentlichen von selbst auf Sie zu?
Ja, meistens geschieht das über Empfehlung, noch relativ wenig über die aktive Vermarktung. Das möchte ich in Zukunft noch ändern, da der Coaching-Anteil an meiner Tätigkeit derzeit bei etwa 20 Prozent liegt. Mittelfristig strebe ich 40 Prozent an.
Wie sieht denn der typische Ablauf eines Coachings bei Ihnen aus?
Typisch gibt es nicht. Ich habe zum Beispiel für meine Abschlussarbeit in der Coachingausbildung eine Mandantin gecoacht, und in nur zwei Sitzungen haben wir großartige Ergebnisse erzielt. Es gibt aber auch die langfristige, kontinuierliche Begleitung über mehrere Monate. Was in allen Fällen gleich ist, ist nur der Beginn: Step eins ist die Feststellung des Status Quo, denn das Ziel ist oftmals klar, nicht aber der Ausgangspunkt. Das ist, wie wenn ich ins Navi nur ‚Paris‘ eingebe: Eine Route bekomme ich erst, wenn ich auch einen Startpunkt wähle. Hierzu nutze ich gerne ein sogenanntes Lebensrad als Tool.
Oftmals ist es wirklich das Problem, dass Familie, Freunde und Freizeit vor lauter Arbeit zu kurz kommen.
Was sind häufige Aspekte, die Sie bearbeiten?
Oftmals ist es wirklich das Problem, dass Familie, Freunde und Freizeit vor lauter Arbeit zu kurz kommen. Schlimm wird’s, wenn auch die Finanzen nicht passen oder die Gesundheit angeschlagen ist. Dann gehe ich häufig auch einen Schritt zurück und mache klar, dass der Mandant oder die Mandantin sich zunächst einmal darum kümmern sollte, dass er oder sie wieder fit wird. Es ist wie bei einem Stuhl: Wenn ein Bein wackelt, ist das noch verkraftbar, werden es aber zwei oder drei, fällt er um.
Allerdings möchte ich nicht den Eindruck vermitteln, dass alle, die zu mir kommen, schwerwiegende Probleme hätten, die sie lösen müssten, im Gegenteil. Coaching ist in anderen Sparten etwas ganz Normales, so hat jeder Fußballprofi bis zu vier Coaches: einen für Fitness, einen für Ernährung, einen persönlichen und einen fürs gesamte Team. Das wünsche ich mir auch für uns Unternehmer. Ich selbst habe auch mindestens zwei Coaches, einen für die Kanzlei und einen für mich persönlich. Denn durch meine Erfahrung im Leistungssport weiß ich: Jeder, der Profi werden möchte, braucht Unterstützung. Das gilt im Besonderen für Unternehmer:innen.
Haben Sie dafür vielleicht auch ein Beispiel?
Gerade habe ich einen neuen Coachee bekommen, der Anfang 30 ist und sich als Gründer nicht auf der Grünen Wiese selbstständig machen möchte, sondern ein Unternehmen finden will, das einen Nachfolger sucht. Dabei wünscht er sich meine Begleitung und Unterstützung. Ein anderes Beispiel ist ein toller Jung-Unternehmer, mit mittlerweile zehn Mitarbeitenden. Er möchte mit meiner Unterstützung für sein Unternehmen eine Open-Book-Police, wie wir sie auch in der Kanzlei leben, implementieren. Oder, oder, oder, das Spektrum ist sehr bunt und breit gefächert. Hierzu möchte ich noch persönlich anmerken: Auch bei uns ist nicht alles perfekt, ich mag den Ausspruch: ‚Bei uns ist es perfekt unperfekt’. Und zugleich haben wir unsere Themen auf dem Zettel und arbeiten daran.
Welche Maßnahmen ergreifen denn die Beratenen nach der Feststellung des Status Quo?
Wenn wir im zweiten Step ausgemacht haben, wo die Dellen im oben genannten Lebensrad sind, geht es darum, zu identifizieren, was sich kurzfristig verändern lässt und was eher mittelfristig machbar ist. Bleiben wir beim Beispiel ‚Mehr Zeit für Familie‘. Hier liegt es nicht selten an den Mitarbeitenden bei denen die Unternehmer:innen im Grunde wissen: Dieser Mitarbeitende tut dem ganzen Unternehmens-System nicht gut. Dann kommt die Argumentation: Ich brauche ihn aber. Aus diesem Grund haben sie bisher nicht den Mut gehabt, solche Leute zu entlassen.
Es geht also viel um Mut: Mut hinzuschauen, Mut anzunehmen und dann den Mut zur Veränderung.
Es klingt hart, aber das habe ich schon selbst in unserer Kanzlei erlebt: Ein ‚fauler Apfel‘ kann alle anderen anstecken und vor allem, wenn der Mut dann aufgebracht wird, ist es oft sehr spannend zu sehen, wie sich andere, vermeintlich schwächere Mitarbeitende entwickeln, da sie erst dann in ihre Kraft kommen können. Bei den Kunden ist es ähnlich: Auch hier sind häufig einzelne dabei, die riesigen Aufwand verursachen ohne passable Rendite. Es kann sinnvoll sein, sich zu trennen oder auch den Mut aufzubringen, mit dem Kunden zu reden und gegebenenfalls im Gegenzug die Honorare zu erhöhen. Dann sinkt die Arbeitsbelastung bei gleichbleibendem Gewinn. Es geht also viel um Mut: Mut hinzuschauen, Mut anzunehmen und dann den Mut zur Veränderung. Eines meiner Lieblingszitate von Mahatma Gandhi passt hier sehr gut: ‚Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.‘
Generell sind aber Steuerberaterinnen und Steuerberater besonders geeignet, ihre Mandantinnen und Mandanten auch in übergreifenden Lebensfragen zu unterstützen, oder?
Absolut, und ich finde, dafür ist unsere Branche prädestiniert. Denn wir wissen teilweise viel mehr von unseren Mandanten als alle anderen Menschen, Ehepartner eingeschlossen. Steuern sind nur ein Teil, ein Hilfsmittel, aber im Grunde geht es darum, auf das gesamte Unternehmen und den ganzen Menschen zu schauen.
Und das kann niemand besser als wir. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen, dass KI unsere Arbeit ersetzen könnte – als Sparringspartner der Mandanten werden wir immer gefragt sein. Dabei ist wesentlich, dass wir selbst als Leuchttürme wirken. Steuerberater müssen Vorbild sein und zeigen, wie man mit Mitarbeitern, Kunden und Prozessen umgeht, um ein zufriedenes, ausgeglichenes Unternehmerleben zu führen.