Ab 2015 wurde der Berufsausbildungsbegriff im Rahmen der Werbungskosten definiert. Welchen Einfluss hat die Begriffsbestimmung auf die günstige BFH-Rechtsprechung zur mehraktigen Ausbildung?
Werbungskosten bei Studium und Berufausbildung
§ 9 Abs. 6 EStG regelt ab 2015 klarstellend, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder für sein Studium nur dann Werbungskosten sind, wenn er zuvor bereits eine Erstausbildung (Berufsausbildung oder Studium) abgeschlossen hat oder wenn die Berufsausbildung oder das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet.
Eine Berufsausbildung als Erstausbildung liegt vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung absolviert und abgeschlossen wird. Ziel der neuen Regelung ist es, gewisse Mindestanforderungen an eine Erstausbildung (zu stellen, weil nach Abschluss einer Erstausbildung eine nachfolgende Zweitausbildung zum Werbungskostenabzug (anstatt Sonderausgabenabzug) führt. Dies ist in der Regel günstiger, weil ein Werbungskostenabzug in voller Höhe geltend gemacht werden kann (Sonderausgaben nur 6.000 EUR) und Verluste auch in spätere Jahre vorgetragen werden können.
Erstausbildungskosten sind keine Werbungskosten
Es ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht am 19.11.2019 entschieden hat (Az.2 BvL 22/14-27/14), dass der Ausschluss des Werbungskostenabzugs für Erstausbildungskosten verfassungsgemäß ist.
Erststudium bzw. Erstausbildung beim Kindergeld günstiger
Andererseits ist im Bereich des Kindergelds in der Regel eine Erstausbildung günstiger, weil seit 2012 ein Kind, welches für einen Beruf ausgebildet wird, nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur noch weiter kindergeldrechtlich berücksichtigt werden kann, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit (über 20 Stunden regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit) nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG).
Der BFH hat hierzu zugunsten der Kindergeldbezieher entschieden (Urteil vom 03.07.2014 – III R 52/13), dass auch ein Bachelorstudium noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung sein kann, wenn ein Kind im Rahmen eines dualen Studiums nach erfolgreichem Abschluss seines studienintegrierten Ausbildungsgangs, sein parallel zur Ausbildung betriebenes Studium fortsetzt. Begründet hat der BFH diese Auffassung hauptsächlich damit, dass bei der Auslegung des (engeren) Begriffs der Berufsausbildung auch das Berufsziel des Kindes zu berücksichtigen ist.
Kindergeld: Mehraktige Erstausbildung bzw. Masterstudium
Demnach sind auch weiterführende (aufeinander aufbauende) Maßnahmen noch Teil einer mehraktigen Erstausbildung, wenn das angestrebte Berufsziel nur über einen weiteren Abschluss erreicht werden kann (BFH Urteil vom 15.04.2015 – V R 27/14).
Folgerichtig hat der BFH dann auch entschieden (Urteil vom 03.09.2015 – VI R 9/15), dass auch ein weiterführendes Masterstudium nach einem Bachelorstudium als integrativer Teil einer einheitlichen (mehraktigen) Ausbildung anzusehen ist, wenn die Abschnitte in einem engen sachlichen (selbe Berufssparte) und zeitlichen Zusammenhang (nächstmöglicher Zeitpunkt) stehen.
Beispiel zum Masterstudium
Der 23-jährige A nahm nach seinem Abitur ein Studium im Fach Chemie auf. Im Mai 2019 beendete er das Studium mit dem Bachelor-Abschluss. Unmittelbar nach dem Abschluss begann A den Masterstudiengang (Chemie). Um sich sein Studium zu finanzieren arbeitete er ab Mai 2019 ca. 25 Wochenstunden in einer Firma.
Werbungskosten da Zweitstudium
Für den Masterstudiengang kann A hier Werbungskosten geltend machen, weil nach § 9 Abs. 6 EStG der Abschluss eines Bachelorstudiengangs grundsätzlich eine Erstausbildung und ein nachfolgender (Master-) Studiengang ein weiteres Studium darstellt (siehe auch Rz. 24 des BMF-Schreibens v. 22.9.2010, IV C 4 – S 2227/07/10002 :002). Wie sieht es aber jetzt durch die Legaldefinition der Erstausbildung ab 2015 beim Kindergeld aus? Ist die günstige BFH-Rechtsprechung damit außer Kraft gesetzt?
Kindergeld: Keine Bindung an § 9 Abs. 6 EStG
Der BFH betont (z. B. Urteil vom 16.06.2015 – XI R 1/14) diesbezüglich, dass bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n. F. verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums keine Bindung an eine ggf. abweichende Auslegung dieser (engeren) Begriffe im Rahmen des § 9 Abs. 6 EStG besteht. Auch die Finanzverwaltung hat erfreulicherweise klargestellt (BMF, Schreiben v. 8.2.2016, IV C 4 – S 2282/07/0001-01 Rz. 12b-12d), dass die kindergeldrechtliche Rechtsprechung (ab 2015 und im Übrigen auf alle offenen Fälle) anzuwenden ist und es für die Frage, ob eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen sind, nicht darauf ankommt, ob die Berufsausbildung bzw. das Studium die besonderen Voraussetzungen für eine Erstausbildung im Sinne des § 9 Abs. 6 EStG erfüllen.
Folglich wird der Gleichklang durchbrochen, sodass hier kindergeldrechtlich ein (günstiges) Erststudium und für die Frage, ob es sich um Werbungskosten oder Sonderausgaben handelt, ein (günstiges) Zweitstudium vorliegt.
Kindergeld: Präzisierung der Rechtsprechung
Der BFH hat seine Rechtsprechung für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung, Zweitstudium) abzugrenzen ist, fortentwickelt und präzisiert (Urteil vom 11.12.2018 – III R 26/18).
Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Hier im Beispiel soll der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen; z. B. (Indizien) hat das Arbeitsverhältnis keinen Bezug zur „Chemie“ und die Uni wird in der Woche tagsüber besucht.
Doch einheitliche Auslegung der erstmaligen Berufsausbildung?
Ob die Begriffe der erstmaligen Berufsausbildung im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Erstausbildung in § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG doch einheitlich auszulegen sind, ist aktuell wieder Rechtsfrage vor dem BFH (Az der Revision III R 7/24). Die einheitliche Auslegung hat das Niedersächsische FG (Urteil v. 30.1.2024, 8 K 134/23) nämlich bejaht.
Der Gesetzgeber habe mit Wirkung zum 1.1.2015 den Begriff der Erstausbildung in § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG erstmals neu definiert. Danach liegt eine Berufsausbildung als Erstausbildung vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird. Diese gesetzliche Definition sei auch bei der Auslegung des Begriffes einer „erstmaligen Berufsausbildung“ im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen.
Zwar habe der BFH mit Urteil v. 12.2.2020, VI R 17/20, entschieden, dass die Auslegung der im § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmaliger Berufsausbildung und Erststudium im Kindergeldrecht für die Auslegung des im dortigen Streitfall maßgeblichen § 9 Abs. 6 EStG nicht von Bedeutung sind. Dies impliziere nach Auffassung des FG jedoch nicht, dass die gesetzliche Definition im § 9 Abs. 6 EStG bei der Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ignoriert werden kann.
Dies folge aus der Überlegung, dass die gesetzliche Definition im § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG zeitlich nach der gefestigten Auslegung in der Rechtsprechung zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ergangen ist. Darüber hinaus handele es sich bei der gesetzlichen Definition um eine Einengung der bis dahin durch die Rechtsprechung zugrunde gelegten Definition. Dementsprechend könne bei der Auslegung des § 9 Abs. 6 EStG die weitere Rechtsprechung zu § 32 Abs. 4 EStG nicht herangezogen werden, während im vorliegend umgekehrten Fall eine Einbeziehung der Wertung des Gesetzgebers, wie sie in § 9 Abs. 6 EStG zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden muss (so auch FG Nürnberg, Urteil v. 9.1.2023, 3 K 782/22, Revisionsverfahren seit 26.4.2024 anhängig, Az. III R 12/24).
Insoweit sei zu beachten, dass auch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eben gerade auf die Berufsausbildung abstellt, welche nunmehr im Rahmen des § 9 Abs. 6 EStG gesetzlich definiert wird. Im Urteilsfall absolvierte die Tochter des Klägers zunächst einen dreimonatigen Lehrgang zur Rettungssanitäterin. Die Familienkasse vertrat die Auffassung, dass die Tochter damit über eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfügt. Im Rahmen des § 9 Abs. 6 EStG liegt aber aufgrund der Mindestdauer von 12 Monaten keine Berufsausbildung als Erstausbildung vor.
Aktualisierung v. 31.7.2024: FG Münster ist nicht der Meinung des Niedersächsischen FG
Das FG Münster hat aktuell die einheitliche Auslegung der § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG dagegen nicht bejaht (
Urteil v. 6.6.2024, 13 K 1080/23 Kg). Der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei insgesamt enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. a EStG verwendete Merkmal der Berufsausbildung. Soweit in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere unter Verweis auf § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG auch eine zeitliche Komponente bei der Einordnung einer Ausbildungsmaßnahme als erstmalige Berufsausbildung berücksichtigt werden soll, folgt das FG dem also nicht.
Weder dem Gesetzeswortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch der Gesetzesbegründung sei eine derartige Komponente zur Einordnung einer erstmaligen Berufsausbildung entnehmbar. Der Gesetzgeber habe ausweislich der Gesetzesbegründung der Abgrenzung anhand des Inhalts einer Ausbildungsmaßnahme den Vorzug gegeben.
Eine einheitliche Auslegung mit dem auch in § 9 Abs- 6 EStG verwendeten Merkmal der Erstausbildung und dem Aspekt einer Mindestdauer von 12 Monaten aus § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG sei zudem systematisch nicht geboten. Das FG verkennt zwar nicht, dass es grundsätzlich geboten sein kann, ein Gesetzesmerkmal, das in einem Fachgesetz an mehreren Stellen verwendet wird, einheitlich auszulegen. Dies könne jedoch nur gelten, wenn das Merkmal auch in einem einheitlichen Regelungskontext samt entsprechender Zweckrichtung steht.
Die beiden Vorschriften stünden jedoch nicht in einem solchen einheitlichen Regelungskontext. In § 32 EStG diene das Merkmal im Rahmen des Kindergelds der Abgrenzungsfrage, ob das Kind in die Lage versetzt ist, sich selbst zu unterhalten, sodass der dem Kindergeld zugrundliegenden Prämisse der Unterhaltsnotwendigkeit durch die Unterhaltsverpflichteten Rechnung getragen wird. § 9 Abs. 6 EStG diene demgegenüber der Abgrenzungsfrage, welche Ausbildungsaufwendungen dem Bereich der Einkünfteerzielung bzw. dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sind.
Im Urteilsfall hat das Kind während einem Bundesfreiwilligendienst von Februar 2019 bis August 2019 auch an einem Ausbildungslehrgang für Rettungshelfer teilgenommen. Diesen Lehrgang werteten die Kindergeldkasse und auch das FG „kindergeldrechtlich“ als abgeschlossene Berufsausbildung. Auch hier läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH unter dem (Az. I R 22/24).