Die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten schriftlichen Verwaltungsakts, der im Inland durch die Post übermittelt wird und diesem tatsächlich zugeht, ist nicht davon abhängig, dass die Außenvollmacht des Bevollmächtigten im Bekanntgabezeitpunkt noch besteht.
Hintergrund: Gesetzliche Regelung und Streitfrage
Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der Finanzbehörde mithin ein Ermessen ein, ob sie den Verwaltungsakt an den Beteiligten oder an dessen Bevollmächtigten bekannt gibt.
Streitig war, ob ein Verwaltungsakt in Form einer Einspruchsentscheidung auch dann wirksam bekanntgegeben ist, wenn er an einen zunächst wirksam bestellten Bevollmächtigten übersandt wird, dessen Vollmacht allerdings, wie dem Finanzamt (FA) erst kurz nach der Absendung des Verwaltungsaktes angezeigt worden ist, bereits zuvor widerrufen worden ist.
Sachverhalt
Das FA führte im Jahr 2019 eine Außenprüfung bei der Klägerin durch. Die Prüfungsanordnung wurde an Steuerberater M als Bevollmächtigten der Klägerin übersandt. Nachdem M seine Steuerberatungskanzlei mit der Kanzlei O & A GmbH & Co. KG (KG) zusammengelegt hatte, speicherte das FA ausweislich eines Aktenvermerks vom 12.3.2020 die KG als neue Bevollmächtigte der Klägerin.
Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Ansicht, der Haltung von Pensionspferden durch die Klägerin und ihren Ehemann sei die ertragsteuerliche Anerkennung als Erwerbsbetrieb zu versagen. Dementsprechend erließ es unter dem 25.3.2020 Änderungsbescheide, die es an die KG adressierte. Diese legte gegen die Änderungsbescheide jeweils Einspruch ein, begründete diese jedoch auch in der Folge nicht.
Das FA wies die Einsprüche mit an die KG adressierter Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 (Aufgabe zur Post am selben Tag) schließlich als unbegründet zurück. Mit Schreiben vom 2.10.2020 (Eingang beim FA am selben Tag) sandte die KG dem FA unter Hinweis auf ihre inzwischen erloschene Vollmacht zur Vertretung der Klägerin in Steuersachen die Einspruchsentscheidung zu ihrer Entlastung zurück.
Das FA gab daraufhin am 8.10.2020 eine unmittelbar an die Klägerin adressierte Ausfertigung der Einspruchsentscheidung zur Post.
Im November 2020 kontaktierte eine PartG das FA und teilte mit, dass die KG das Mandat bereits im Frühjahr beendet habe. Das FA versandte daraufhin am 4.12.2020 eine Kopie der Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 an die PartG. Die Klägerin erhob am 4.1.2021 Klage und machte geltend, die KG habe das Mandat bereits Mitte des Jahres 2019 gekündigt. Die Einspruchsentscheidung sei ihr erstmals durch Zusendung an die PartG bekannt gegeben worden.
Klage wurde als unzulässig abgewiesen
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die am 4.1.2021 beim FG eingegangene Klage sei nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO erhoben worden. Die an die KG adressierte und am 30.9.2020 zur Post aufgegebene Einspruchsentscheidung gelte am 5.10.2020 als bekannt gegeben. Die Klagefrist sei daher am 5.11.2020 abgelaufen. Unerheblich sei, dass das FA nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post, aber vor dem 5.10.2020 vom Widerruf der Vollmacht durch die KG Kenntnis erlangt habe. Das FG hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen.
Entscheidung: BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen
Das FG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, da die Klägerin die Klage erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist erhoben hat. Es hat zutreffend entschieden, dass die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die KG wirksam war und die Klagefrist in Lauf gesetzt hat.
Vor allem folgende Gesichtspunkte waren für die Beurteilung maßgebend:
- Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (Einspruchsentscheidung).
- Wird die Einspruchsentscheidung durch die Post übermittelt (§ 366 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO), gilt sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
- Die Einspruchsentscheidung ist der KG am 5.10.2020 wirksam bekannt gegeben worden. Die einmonatige Klagefrist war daher zum Zeitpunkt der Klageerhebung (4.1.2021) abgelaufen.
- Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, das FA habe im Zeitpunkt der Absendung der Einspruchsentscheidung noch davon ausgehen dürfen, dass die KG Bevollmächtigte der Klägerin gewesen sei. Zwar fehlt es an Feststellungen, ob die Klägerin der KG für die Durchführung des Einspruchsverfahrens eine Vollmacht erteilt hatte. Diesbezügliche Feststellungen waren indes entbehrlich.
- Das FA hat das ihm damit gem. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumte Ermessen, die Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 der KG als der (vermuteten) Bevollmächtigten der Klägerin anstatt der Klägerin selbst bekannt zu geben, fehlerfrei ausgeübt. Angesichts des Auftretens der KG im Einspruchsverfahren der Klägerin ist ein Ermessensfehler nicht erkennbar.
- Die Einspruchsentscheidung ist laut Absendevermerk des FA am 30.9.2020 zur Post gegeben worden. Sie gilt daher der KG als am Montag, dem 5.10.2020, bekannt gegeben (§ 108 Abs. 3 und § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO).
- Der Bekanntgabevermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass das FA nach der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post durch das bei ihm am 2.10.2020 eingegangene Schreiben von dem Widerruf der Vollmacht durch die KG Kenntnis erlangt hat.
- Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird der Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst) wirksam, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das FA noch wirksam Verfahrenshandlungen im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen.
- Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht – anders als im Streitfall – auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht.
- Durch die Übersendung der Einspruchsentscheidung an die Klägerin wurde keine neue Klagefrist in Gang gesetzt. Aber auch der Übermittlung der Einspruchsentscheidung in Kopie an die PartG am 4.12.2020 kommt angesichts der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die KG am 5.10.2020 keine Bedeutung zu. Der Übersendung einer Kopie der Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 ist kein neuer Bekanntgabewille des FA zu entnehmen.
BFH, Urteil v. 8.2.2024, VI R 25/21; veröffentlicht am 10.5.2024
Alle am 10.5.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen