Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Inland übermittelt wird, gilt als am dritten Tag nach der Aufgabe als bekanntgegeben. Doch liegt eine wirksame Bekanntgabe vor, wenn der tatsächliche Zugang und danach die Löschung der Vollmacht noch vor Ablauf der drei Tage erfolgt ist?
Mit dieser Frage hat sich das Sächsische FG beschäftigt. Im entschiedenen Fall hat das Finanzamt den Steuerbescheid am 21.12.2021 erlassen und ihn an eine Steuerberaterkanzlei bekanntgegeben. Dort gingen die Bescheide nach Mitteilung der Kanzlei am 22.12.2021 ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger das Mandat bereits gekündigt. Der Zugang des Widerrufs der Vollmacht ging beim Finanzamt am 23.12.2021 ein.
Finanzamt nimmt wirksame Bekanntgabe an
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Bescheide bereits mit Zugang bei der Kanzlei am 22.12.2021 wirksam geworden seien. Die Drei-Tages-Fiktion gelte insoweit nicht, denn diese Regelung habe nur Bedeutung für die Berechnung von Rechtsbehelfsfristen.
Der Zeitpunkt, an dem ein übersandter Verwaltungsakt tatsächlich wirksam werde, müsse insofern mit dem Zeitpunkt, der sich aus der Bekanntgabefiktion ergebe, nicht übereinstimmen. Erst nach dem Zugang der Bescheide habe man vom Widerruf der Vollmacht erfahren. Auf die Wirksamkeit der Bescheide habe dies keinen Einfluss.
Sächsisches FG: Keine Wirksamkeit
Dies sieht das Sächsische FG anders (Urteil v. 22.11.2022, 6 K 709/22).
Für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten an einen Bevollmächtigten gelten § 122 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AO. Danach kann ein Verwaltungsakt auch gegenüber dem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. Er soll dem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden, wenn der Finanzbehörde eine schriftliche oder eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht vorliegt.
Ein Widerruf der Vollmacht wird der Finanzbehörde gegenüber erst wirksam, wenn er ihr zugeht (§ 80 Abs. 1 Satz 3 AO). Dies wäre hier der 23.12.2021. Zu diesem Zeitpunkt war der Steuerbescheid des Klägers zwar schon tatsächlich zugegangen (22.12.2021), allerdings vor Ende der Bekanntgabefiktion von drei Tagen.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts finde diese sog. Bekanntgabefiktion auch Anwendung, wenn es – wie hier – um die Frage des Wirksamwerdens von Verwaltungsakten im Sinne von § 124 AO geht. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts wird im Fall des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht nur vermutet, sondern mit Ablauf der Frist fingiert, so das FG.
Die Existenz und die Wirksamkeit des Verwaltungsakts treten nach § 124 Abs. 2 Satz 1 AO damit erst mit Ablauf der Drei-Tages-Frist ein. Daraus folgt dann zugunsten der Finanzverwaltung beispielsweise auch, dass ein Steuerbescheid innerhalb der Drei-Tages-Frist widerrufen werden kann, auch wenn er dem Steuerpflichtigen tatsächlich früher zugegangen ist. Damit wollte der Gesetzgeber zugunsten wie zuungunsten des Adressaten generell einen Streit über den genauen Zeitpunkt des Zugangs eines Bescheids weitgehend ausschließen. Somit sah das FG den Steuerbescheid als nicht wirksam bekanntgegeben an.
Revisionsverfahren beim BFH anhängig
Beim BFH ist hinsichtlich des Urteils des Sächsischen FG folgende Rechtsfrage offen:
Hindert die während der 3-Tage-Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgte elektronische Rücknahme einer Vollmacht via Vollmachtsdatenbank der betreffenden Steuerberaterkammer die Wirksamkeit eines Einkommensteuerbescheids, wenn der Einkommensteuerbescheid vor der Rücknahme der Vollmacht an den bevollmächtigten Steuerberater abgesandt und von diesem innerhalb der 3-Tage-Bekanntgabefiktion empfangen wurde?
Aktualisierung vom 13.5.2024: Neues Urteil des BFH sollte zur Rücknahme der Revision führen
Im Rahmen eines anderen Verfahrens sollte eine neue Entscheidung des BFH (Urteil v. 8.2.2024, VI R 25/21) für Klarheit sorgen. Nach dieser Entscheidung ist dem FG Sachsen hier nicht zuzustimmen. Entscheidend sei vielmehr der Zeitpunkt der Absendung. Konnte das Finanzamt zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass eine Vollmacht vorliegt, liegt eine wirksame Bekanntgabe vor.
Der Bekanntgabevermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO stehe auch nicht entgegen, wenn das Finanzamt nach der Aufgabe des Steuerbescheids zur Post von dem Widerruf der Vollmacht Kenntnis erlangt hat. Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird nämlich der Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst) wirksam, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das Finanzamt noch wirksam Verfahrenshandlungen im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen. Demnach sei auch die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht.
Gestützt werde dies durch den Sinn und Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzesgebers der Rechtssicherheit des Finanzamts dienen, damit dieses nicht im Nachhinein von dem Umstand einer nicht mehr existierenden Vollmacht überrascht wird. Die Behörde soll sich insoweit auf eine erteilte Vollmacht verlassen können, bis ihr der Widerruf der Vollmacht zugeht. Maßgeblich könne dabei nur der Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung sein, also der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht vor oder wird deren Vorliegen vermutet und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch zu, kann die Bekanntgabe nicht mehr durch einen Widerruf der Vollmacht (also auch nicht wie hier innerhalb der 3-Tages-Fiktion) verhindert werden.