Seit der Gesetzesänderung zum 1.1.2014 hat der BFH bisher zwei Entscheidungen veröffentlicht, welche sich mit der Frage der ersten Tätigkeitsstätte bei einem Leiharbeitnehmer auseinandersetzen. Ein weiteres Revisionsverfahren ist anhängig. In diesem Fall wurde das Arbeitsverhältnis beim Verleiher entfristet.
Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte
Eine erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 EStG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer einer solchen Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet ist. Die dauerhafte Zuordnung des Arbeitnehmers wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen oder Weisungen bestimmt.
Eine erste Tätigkeitsstätte kann auch bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten vorliegen. Von einer dauerhaften Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Tätigkeitsstätte ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer dort unbefristet oder für die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses oder von vornherein länger als 48 Monate arbeiten soll (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG).
BFH-Entscheidung zur Befristung (Verleiher)
Im ersten Urteilsfall des BFH (Urteil v. 10.04.2019, VI R 6/17) bestand ein befristetes Arbeitsverhältnis beim Verleiher. Auf schriftliche Weisung des Verleihers wurde der Arbeitnehmer „bis auf Weiteres“ einer Firma überlassen. Wiederum auf schriftliche Weisung des Verleihers wurde der Arbeitnehmer – innerhalb der Befristung – einer anderen Firma überlassen.
Der BFH entschied, dass die 2. Alternative des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG zu prüfen ist, weil das Leiharbeitsverhältnis befristet ist. Im Ergebnis hat der Arbeitnehmer bei dieser Konstellation nur bei der ersten Firma eine erste Tätigkeitsstätte (weil mit Beginn des Leiharbeitsverhältnisses aus der maßgeblichen Sicht für die Zukunft davon auszugehen ist, dass die Zuordnung für die gesamte Dauer Bestand haben soll).
Die zweite Zuordnung ist aber nicht mehr dauerhaft, weil der Arbeitnehmer infolge der ursprünglich erfolgten Zuordnung der zweiten Firma nicht für die Dauer des befristeten Beschäftigungsverhältnisses (§ 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG) zugeordnet wurde. Er wurde vielmehr während seines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses nacheinander zwei verschiedenen Tätigkeitsstätten zugeordnet. Damit war es (für die Zukunft) ausgeschlossen, dass er der zweiten Tätigkeitsstätte „für die Dauer des Dienstverhältnisses“ zugeordnet werden konnte.
BFH-Entscheidung zu unbefristetem Arbeitsverhältnis beim Verleiher
Im Rahmen der zweiten Entscheidung des BFH (Urteil v. 12.5.2022, VI R 32/20) war das Arbeitsverhältnis zum Verleiher dagegen unbefristet, jenes zum Entleiher dagegen befristet. Hier stellte der BFH klar, dass maßgebliches Arbeitsverhältnis für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i. S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG dauerhaft zugeordnet ist, das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih‑) Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis ist.
Der Entleiher nimmt nur die Arbeitsleistung entgegen, lenkt sie nach Bedarf durch Weisungen und erfüllt die korrespondieren Fürsorgepflichten. Demnach lag im Urteilsfall keine dauerhafte Zuordnung i. S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG vor, weil der Leiharbeitnehmer im Rahmen seines unbefristeten Arbeitsverhältnisses beim Entleiher nur befristet zugeordnet war.
FG München: Entfristung des Arbeitsverhältnisses beim Verleiher
Das FG München hatte nun folgenden Fall zu entscheiden: Der Kläger war seit dem 23.4.2014 beim Verleiher beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 28.11.2014 befristet. Die Befristung wurde bis zum 27.11.2015 verlängert. Ab dem 28.11.2015 bestand ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.
In den Streitjahren 2017 und 2018 wurde der Kläger ausschließlich einem Entleiher (Firma R) überlassen (schon bereits ab 2.2.2015). Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher erfolgten zunächst per Auftragsbestätigung. Darin war jeweils der Beginn der Überlassung bestimmt; für das Ende war jeweils „vorübergehend“ angegeben. Nach der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zum 1.4.2017, das eine zeitliche Höchstgrenze von 18 Monaten für Arbeitnehmerüberlassungen vorsieht, schlossen die Zeitarbeit und Firma R einen neuen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, bei dem als Ende der Überlassung des Klägers „vorübergehend“ angegeben war.
Geht man nun Stand 2017 davon aus, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zum Verleiher und ein befristetes Arbeitsverhältnis zum Entleiher vorlag (längstens 18 Monate), müsste das Urteil des BFH vom 12.5.2022 zur Anwendung kommen, sodass Reisekostengrundsätze gelten müssten.
FG: Reisekostengrundsätze nicht anwendbar
Das FG sieht dies aber nicht so (Urteil v. 21.3.2023, 6 K 1233/20).
Eine Zuordnung ist nach § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG unbefristet, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, ist eine auf die Zukunft gerichtete Prognose (exante Betrachtung) maßgebend.
Der Kläger war ab dem 28.11.2015 unbefristet bei der Zeitarbeitsfirma beschäftigt und dem Entleiher R aus der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen ex ante Betrachtung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses dauerhaft zugeordnet. Der nunmehr unbefristete Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit sei eine wesentliche Änderung in den Vertragsbeziehungen, die eine Neubewertung zur ersten Tätigkeitsstätte erfordert.
Denn bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag kann sich der Kläger bei einer dauernden Zuordnung neu auf seinen Arbeitsweg einstellen. In den schriftlichen Vereinbarungen befinden sich keine Klauseln über ein absehbares Ende der Beschäftigung beim Entleiher. Die Arbeitnehmerüberlassungen waren „vorübergehend“ und damit nicht zeitlich befristet.
FG: Neuregelung des AÜG war nicht absehbar
Es seien auch keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer der Kläger davon ausgehen musste, dass seine Tätigkeit bei Entleiher zeitlich befristet sein sollte. Die Neuregelung des § 1 Abs. 1b AÜG könne dahinstehen, da bei der für die Beurteilung einer dauerhaften Zuordnung entscheidenden Sicht ex ante, im November 2015 bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrage, die gesetzliche Neuregelung des AÜG nicht absehbar war.
Die Arbeitnehmerüberlassung war bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit nicht befristet. Damit konnte sich der Kläger bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags darauf einstellen, unbefristet beim Entleiher R in R tätig zu sein und war in der Lage hinsichtlich seiner Mobilitätskosten zu planen.
Diese Prognoseentscheidung betreffend die Tätigkeitsstätte ändere sich nicht durch den zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher zum 1.4.2017 geänderten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, da der Kläger unverändert beim Entleiher eingesetzt wurde. Anders als im Entscheidungsfall des BFH war die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher R bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags des Klägers mit der Zeitarbeit jedoch unbefristet. Erst zum 1.4.2017 – und damit nicht aus der Sicht ex ante – wurde die Arbeitnehmerüber-assung in „vorübergehend“ geändert. Sofern in der Gesetzesänderung des AÜG eine Befristung zu sehen wäre, sei eine solche später eintretende Befristung unbeachtlich (ex-post- Betrachtung).
Revisionsverfahren beim BFH anhängig
Beim BFH ist nun folgende Rechtsfrage offen unter dem (Az beim BFH VI R 22/23): Kann ein Leiharbeitnehmer aufgrund des ab 1.4.2017 geltenden § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG für Fahrten zum Entleiher eine Neubewertung der Ex-ante-Betrachtung durchführen, mit dem Begehren, dass betreffende Fahrtkosten aufgrund von Reisekostengrundsätzen als Werbungskosten abzugsfähig sind?