Das Buch „Neue Arbeitswelt in der Steuerberatung“ von Ralf Haase beleuchtet, wie Veränderungen in der Arbeitskultur Steuerkanzleien zukunftsfähig machen können. Im Interview diskutiert Haase die Bedeutung von New Work und warum gerade jetzt innovative Arbeitsansätze in der Steuerberatung unabdingbar sind.

Angesichts der Rückkehr vieler Unternehmen zum Präsenzarbeitsmodell könnte man meinen, das Konzept von New Work verliert an Bedeutung. Kommt Ihr Buch zur falschen Zeit?

Ralf Haase: Nein, das denke ich nicht. Kulturelle Veränderungen in Unternehmen durchlaufen immer Wellenbewegungen. Es geht mal zwei Schritte vor, dann wieder einen Schritt zurück. Im Übrigen ist New Work mehr als nur Homeoffice; es umfasst einen kompletten Perspektivwechsel auf die Art und Weise der Zusammenarbeit, die der heutigen Dynamik besser entspricht, als es die BWL definiert.

Was verstehen Sie unter New Work?

Mein Verständnis von New Work ist eng mit der Wertschöpfungslogik verbunden. Das bedeutet, dass die Arbeitsprozesse so gestaltet sind, dass jeder Mitarbeiter deutlich sehen kann, wie seine Arbeit direkt zur Wertschöpfung des Unternehmens beiträgt. Dies fördert Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit, weil Mitarbeiter den Wert ihrer Arbeit erkennen.

Warum sollten sich ausgerechnet Steuerkanzleien mit neuen Arbeitsweisen auseinandersetzen?

Alle Unternehmen, einschließlich Steuerkanzleien, benötigen neue Arbeitsweisen, um sich an die sich schnell verändernden Marktbedingungen sowohl vom Arbeitsmarkt als auch vom Kundenmarkt anzupassen. Die Steuerberatung ist vielleicht etwas später dran als andere Branchen, weil sie durch mehrere Faktoren daran gehindert wird, aus alten Mustern herauszukommen.

Die Technisierung der Buchhaltung wird das traditionelle Geschäft der Steuerkanzleien stark verändern.

Welche Faktoren sind das?

Erstens gibt es eine sehr luxuriöse Marktsituation für Steuerberater, da die Nachfrage nach ihren Diensten groß ist. Dies führt dazu, dass es keinen unmittelbaren ökonomischen Druck gibt, außer vielleicht vom Arbeitsmarkt. Zweitens ist die Steuerberatung durch ihre Rolle als Vermittler zwischen Staat und Wirtschaft in ihrer Flexibilität eingeschränkt. Die Notwendigkeit, präzise und strukturiert zu arbeiten, macht es schwierig, neue Arbeitsweisen anzunehmen.

Woher kommt dann der Veränderungsdruck?

Die zunehmende Technisierung, insbesondere durch KI, verändert die Arbeitsprozesse erheblich. Die Technisierung der Buchhaltung wird das traditionelle Geschäft der Steuerkanzleien stark verändern, was den beratenden und menschlichen Aspekt der Arbeit wichtiger macht. Dieser Wandel erfordert eine Anpassung an neue Arbeitsweisen, um auf die steigende Komplexität und die unvorhersehbaren Veränderungen im Markt reagieren zu können.

Mein Buch
geht genau auf diese Herausforderungen ein und bietet Lösungen an, die jetzt mehr denn je benötigt werden.

Führungskräfte haben die formale Macht, nachhaltige Veränderungen in ihren Unternehmen durchzusetzen.

Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?

Mein Buch richtet sich an alle, die sich für effektive und zufriedenstellende Arbeitsweisen in der Steuerberatung interessieren. Es ist für diejenigen gedacht, die verstehen möchten, warum Arbeitsprozesse in manchen Kanzleien angenehm und in anderen mühsam sind. Besonders wertvoll ist es für Teamleiter, die lernen möchten, wie sie ein gutes Arbeitsumfeld schaffen können, das Mitarbeiter motiviert und zufrieden macht. Aber die primäre Zielgruppe sind die Entscheider in Steuerberatungskanzleien – also Kanzleiinhaber oder Geschäftsführer größerer Einheiten. Diese Führungskräfte haben die formale Macht, nachhaltige Veränderungen in ihren Unternehmen durchzusetzen.

Muss eine Veränderung nicht von der ganzen Organisation angestoßen werden?

Mein Buch spricht das System an, nicht die Individuen. Ich glaube, dass Menschen sich automatisch weiterentwickeln, wenn das System, in dem sie arbeiten, verbessert wird. Veränderungen, wie eine neue Vergütungsordnung oder andere Unternehmensrituale, können nur durch formale Macht effektiv eingeführt werden. Diese systemischen Änderungen sind der Schlüssel zur Weiterentwicklung der Arbeitskultur in den Kanzleien.

Sie schreiben dazu: „Eine der kontraintuitivsten Aussagen der Systemtheorie ist die Behauptung, dass Organisationen (wozu auch Unternehmen gehören) nicht aus Menschen bestehen, sondern lediglich aus der Kommunikation, die im sozialen System, an dem sie teilnehmen, entsteht.“

Genau, man kann das mit einem Brettspiel vergleichen. Wenn wir ein Brettspiel kaufen, erwerben wir die Spielfiguren, das Spielbrett und die Spielregeln, aber nicht die Spieler. Die Spieler nehmen am Spiel teil und halten sich mehr oder weniger an die Regeln. Ähnlich ist es in Unternehmen. Die Mitarbeiter kommen ins Unternehmen und nutzen die dortigen Spielregeln. Sie handeln untereinander aus, inwieweit sie von diesen Regeln abweichen dürfen.

Eine solide Theorie kann eine wertvolle Denkabkürzung sein.

In Ihrem Buch nehmen Sie eine kritische Haltung gegenüber Best Practices ein. Sie schreiben, dass diese nicht hilfreich sind. Was hilft stattdessen?

Anstelle von Best Practices empfehle ich die Nutzung von soliden theoretischen Rahmenwerken, wie beispielsweise der Systemtheorie. Für Führungskräfte und auch diejenigen, die sich zum ersten Mal mit Führung beschäftigen oder dies nicht als ihre Kernaufgabe sehen, kann eine solide Theorie eine wertvolle Denkabkürzung sein. Sie ist wie eine Strickanleitung – so, wie man da keinen fertigen Pullover bekommt, sondern Mustererklärungen, liefert die Theorie Perspektiven und Denkwerkzeuge, die man anwenden kann, um Phänomene oder Verhaltensweisen im Unternehmen zu erklären.

Intuitiv neigen Menschen allerdings dazu, sich eher an praktischen Beispielen zu orientieren als sich mit Theorien auseinanderzusetzen.

Ja, das ist eine natürliche Neigung. Der intuitive Impuls, einfach zu beobachten, wie andere etwas machen und es dann ähnlich umzusetzen, ist verständlich. Aber dieser Ansatz ist oft zu oberflächlich, weil wir nicht davon ausgehen können, dass andere Organisationen genau wie unsere funktionieren. Jedes Unternehmen hat seine eigene Kultur entwickelt. Deshalb benötigen wir spezifische Werkzeuge, die uns helfen, unsere eigene Kultur zu verstehen und zu interpretieren. Diese Werkzeuge ermöglichen es uns, den Sinn im scheinbaren Unsinn zu erkennen, der sich uns täglich bietet, und fundierte Entscheidungen zu treffen. Wenn das Problem richtig analysiert ist, liegt die Lösung oft schon auf der Hand. Dieses problemorientierte Vorgehen ist sehr hilfreich, weil es uns erlaubt, gezielt und minimalinvasiv zu handeln, anstatt mit einer globalen Methode oder einer Best-Practice-Lösung zu arbeiten, die oft nicht passt und zu vielen Kollateralschäden führt.

Viele Entscheidungsträger könnten einwenden, dass sie keine Zeit haben, sich mit der Entwicklung ihrer Organisation auseinanderzusetzen. Wie würden Sie darauf antworten?

Das Argument „keine Zeit zu haben“ ist leider ein häufiges Totschlagargument. Es ist jedoch kein stichhaltiges Argument. Wenn man wirklich daran interessiert ist, dass das Unternehmen sich weiterentwickelt und zukunftsfähig bleibt, muss man sich die Zeit nehmen. Die Vorstellung, dass Führung oder die Arbeit am Unternehmen etwas ist, das man nebenbei oder nach Feierabend erledigen kann, ist ein Trugschluss. Ohne den Willen zur aktiven Gestaltung und Entwicklung wird sich nichts verbessern.

Arbeit ist dann sinnvoll, wenn sie wirksam ist.

Gibt es noch einen zentralen Gedanken aus Ihrem Buch, den Sie besonders betonen möchten, insbesondere im Kontext der aktuellen Diskussionen um New Work?

Es ist entscheidend, eine kritische Haltung einzunehmen, wenn man mit Konzepten konfrontiert wird, die einem als Allheilmittel präsentiert werden. Die Glücksbewirtschaftungs-Industrie bedient sich des New Work-Konzeptes, um schnelle und oberflächliche Lösungen wie neue Bürokonzepte oder Incentives zu verkaufen. Diese Maßnahmen können zwar angenehm sein, verfehlen jedoch oft den Kern dessen, was Arbeit wirklich sinnvoll macht.

Arbeit ist dann sinnvoll, wenn sie wirksam ist, wenn sie echte Ergebnisse liefert, die über das Erreichen interner Kennzahlen hinausgehen. Wir müssen die intrinsische Motivation wieder wecken, die in der Industriegesellschaft durch übermäßige Kontrolle verloren gegangen ist. Wir sollten von einem Menschenbild ausgehen, das annimmt, dass Menschen von Natur aus gute Arbeit leisten wollen, wenn die Bedingungen stimmen. Dies erfordert einen Perspektivwechsel weg von einer misstrauischen, kontrollierenden Haltung hin zu einer, die auf Vertrauen und Unterstützung basiert. Dieser Ansatz ist nicht nur humaner, sondern führt auch zu besseren Ergebnissen für Individuen und Unternehmen.

Zur Person

Ralf Haase ist Unternehmer und Berater, der seit fast vier Jahrzehnten in verschiedenen Branchen tätig ist. Aktuell ist er Leiter der Personalabteilung bei der AIOS Tax AG Steuerberatungsgesellschaft, wo er dafür verantwortlich ist, talentierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und eine effektive Zusammenarbeit in den Teams zu fördern.

Das Buch



„Neue Arbeitswelt in der Steuerberatung“
erschien 2024 bei Schäffer-Poeschel.



Am 21. Januar stellt der Autor das Buch in Berlin vor.