Die Steuerberaterkammer Niedersachsen hat einen KI-Ausschuss gegründet. Warum?
Carsten Schulz: Seit das Thema KI durch ChatGPT wieder Fahrt aufgenommen hat, beobachten wir als Steuerberaterkammer die Entwicklungen sehr genau. Denn wir haben den Auftrag, die Mitglieder nicht nur in der Einhaltung ihrer Berufspflichten zu überwachen, sondern auch dabei zu unterstützen, wirtschaftlich erfolgreicher zu sein. Und KI hat erhebliche Auswirkungen auf die steuerberatenden Berufe und wird sie revolutionieren.
Welche Auswirkungen sind das zum Beispiel?
Der Einsatz von KI in der Steuerberatung wirft Fragen zur Regulatorik und zum Berufsrecht auf, wie etwa die Einhaltung von Berufspflichten wie Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Verschwiegenheit. Der Ausschuss befasst sich daher mit den Möglichkeiten und Risiken von KI für den Berufsstand und informiert über aktuelle Entwicklungen. Im Oktober 2023, nach den Neuwahlen im September, wurde der Ausschuss gegründet und besetzt.
Wer gehört zum Ausschuss?
Wir haben uns gezielt Personen gesucht, die in diesem Bereich bereits aktiv sind und wertvolle Erfahrungen einbringen können. Der Ausschuss setzt sich aus verschiedenen Expertinnen und Experten zusammen.
Womit befasst sich der Ausschuss?
Zuallererst haben wir die Struktur des Ausschusses klar definiert. Ausschüsse leiden oft unter Terminfindungsschwierigkeiten, daher tagen wir ausschließlich online und immer an einem festen Tag zur gleichen Uhrzeit, einmal im Monat, mit einer klar strukturierten Tagesordnung. Wir nutzen Systeme zur Zielzentrierung und haben das Ökosystem KI für die steuerberatenden Berufe aufgebaut, um den Überblick zu behalten.
Welche Themen stehen konkret auf der Agenda?
Ein zentrales Thema ist, dass der Berufsstand das abstrakte Level verlassen und konkreter werden muss. Wir überlegen, eine Plattform zu schaffen, auf denen sich Anbieter präsentieren und Lösungen bewertet werden können. Eine solche Plattform könnte Entwicklern und Freiberuflern ermöglichen, ihre Leistungen zu zeigen und den gesamten Berufsstand, insbesondere kleinere Kanzleien, von KI profitieren zu lassen.
Ein weiterer Punkt ist die Frage, ob Regionalkammern und die Steuerberaterkammer zukünftig KI-Lizenzen organisieren sollten, um Skalierungseffekte zu nutzen. Wir arbeiten an einem Positionspapier und planen Videos, um andere Mitstreiter zu gewinnen.
Wer gut ist und etwas für den Berufsstand tun will, ist herzlich willkommen.
Möchten Sie auch mit Softwareanbietern sprechen?
Es gibt keine Einschränkung, wir wollen nichts bestimmen, sondern nur ermöglichen. Wir sehen uns als Enabler und nicht als Disabler. Wer gut ist und etwas für den Berufsstand tun will, ist herzlich willkommen.
Gibt es bereits viele Anfragen aus der Kollegenschaft?
Hin und wieder kommen Anfragen, aber das Bewusstsein dafür, dass KI und Automatisierung den Berufsstand dramatisch verändern werden, ist noch nicht weit verbreitet. Unser Auftrag ist es, die Erkenntnis zu verbessern und die notwendigen Informationen zu liefern. Derzeit ist es noch relativ ruhig, aber wir müssen vorbereitet sein.
Was könnte passieren, wenn der Tipping Point erreicht ist?
Ich vergleiche das mit Popcorn machen: Erst passiert nichts, dann ploppt es hier und da, und plötzlich explodiert der ganze Topf. Es darf uns nicht passieren, dass Drittanbieter in den Markt drängen und wir unvorbereitet sind. Wenn wir das verschlafen, kann es zu Ertrags- und Liquiditätskrisen führen.
Wie macht das Ihre Kanzlei?
Unsere Kanzlei ist relativ weit fortgeschritten. Seit dem 1. Januar 2024 sind wir ChatGPT Enterprise Kunde und haben einen individuellen Kontakt mit OpenAI. Jeder Mitarbeitende in der Kanzlei hat einen ChatGPT Enterprise Zugang, der datenschutzkonform ist. Wir nutzen Custom GPTs für verschiedene Zwecke, wie beispielsweise das Beantworten von E-Mails, das Schreiben von Artikeln und das Beantworten von Fachfragen in verständlicher Sprache.
Nutzen Sie auch Automatisierung?
Ja, wir setzen auch auf Robotic Process Automation (RPA). Wir hatten gerade eine intensive Schulung zum Thema RPA bei der viele Prozesse identifiziert wurden, die jetzt in den nächsten Wochen automatisiert werden sollen. Die Infrastruktur dafür ist bereits vorhanden. Wir entwickeln diese Lösungen in Hannover, um sie dann innerhalb der HSP Gruppe auszurollen.
Wir glauben, dass es nicht gut ist, wenn Schlüsseltechnologien im Bereich KI und RPA in der Hand weniger wirtschaftlicher Akteure liegen.
Was ist das Ziel Ihrer Bemühungen?
Unser Ziel ist es, Best Practices zu entwickeln und diese für andere Kanzleien innerhalb der HSP Gruppe und darüber hinaus zugänglich zu machen, ohne dabei ein wirtschaftliches Eigeninteresse zu verfolgen. Wir glauben, dass es nicht gut ist, wenn Schlüsseltechnologien im Bereich KI und RPA in der Hand weniger wirtschaftlicher Akteure liegen.
Welche Herausforderungen sehen Sie?
Es besteht die Gefahr, dass die Wertschöpfungskette sich durch den Einsatz von KI verlagert – weg vom Steuerberater hin zu Content-Inhabern, die Teile der Tätigkeiten automatisiert übernehmen. Dies könnte den Anteil des Steuerberaters an der Wertschöpfung verringern. Der Berufsstand muss aktiv werden, um Antworten auf diese Herausforderungen zu finden und die sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen, insbesondere für Mitarbeitende, die niedrigschwellige Buchführungstätigkeiten ausführen. Wir haben eine soziale Verantwortung und müssen überlegen, wie wir diese Mitarbeitenden weiterbilden können. Die wahren Chancen und Risiken von KI werden oft zu wenig betrachtet. Es ist wichtig, sich nicht nur auf die Möglichkeiten zu konzentrieren, sondern auch die Folgen und Herausforderungen im Blick zu behalten.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Steuerberatung in Bezug auf KI?
Unsere Vision ist es, den Berufsstand so aufzustellen, dass wir die Chancen der KI nutzen können, ohne die Risiken aus den Augen zu verlieren. Es geht darum, die Effizienz zu steigern und wettbewerbsfähig zu bleiben, gleichzeitig aber auch die soziale Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitenden zu wahren. Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich die richtigen Entscheidungen treffen.
Zur Person
Carsten Schulz ist ein Steuerberater mit 20 Jahren Selbständigkeit und über 30 Jahren Berufserfahrung. Er ist der Gründungspartner der HSP GRUPPE, einem Kooperationsverbund von Steuerberaterkanzleien in ganz Deutschland. Er ist Vorstand der Steuerberaterkammer Niedersachsen.