Grundsätzliches
Masseverbindlichkeiten sind von Insolvenzforderungen zu unterscheiden. Sonstige Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten, die bei einer Insolvenz gemeinsam mit den Kosten des Insolvenzverfahrens vor anderen Verbindlichkeiten in voller Höhe aus der Vermögensmasse – vor den Insolvenzforderungen – bedient werden (§ 53 InsO).
Insolvenzforderungen sind dagegen alle Forderungen, die in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet sind (§ 38 InsO). Zwecks Gleichbehandlung aller Gläubiger erhält grds. jeder einzelne aus der vorhandenen Insolvenzmasse eine Zahlung, die der Quote seiner Forderung im Verhältnis zur Gesamtheit der angemeldeten bzw. festgestellten Forderungen entspricht.
Der FinVerw. ist daran gelegen, Steuerforderungen möglichst den Masseverbindlichkeiten zuzuordnen, um eine höhere Befriedigung als für Insolvenzforderungen zu erhalten.
Vom BFH zu klärende Fragen
Der BFH musste in diesem Zusammenhang die Fragen beurteilen,
- ob ein im Zwangsversteigerungsverfahren veräußertes Grundstück nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung unterliegt und
- ob – die Steuerpflicht nach § 23 EStG angenommen – die darauf lastende Einkommensteuer selbst dann als Masseverbindlichkeit anzusehen ist, wenn die Veräußerung im Zwangsversteigerungsverfahren durch einen absonderungsberechtigten Grundpfandgläubiger (Entscheidungsfall: Finanzamt) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte, die Beschlagnahmung aber vor Eröffnung lag.
Sachverhalt: Zwangsversteigerung einer Eigentumswohnung
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Der Insolvenzschuldner B (B) war seit November 2012 Eigentümer einer Eigentumswohnung (ETW).
- Auf Grund von Steuerrückständen beantragte das Finanzamt aus einer auf diesem Grundstück zu seinen Gunsten eingetragenen Zwangshypothek die Zwangsversteigerung in dieses Objekt beim AG. Dieser Antrag wurde durch das AG im Dezember 2018 positiv beschieden.
- Über das Vermögen des B wurde im Mai 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet und es wurde ein Insolvenzverwalter bestellt. Eine Freigabe des Grundstücks erfolgte nicht.
- Mit Zuschlagsbeschluss des AG aus November 2020 wurde die ETW aufgrund eines Bargebots veräußert.
- Das Finanzamt ermittelte auf der Grundlage dieses Verkaufspreises einen – der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen – Veräußerungsgewinn und vertrat insoweit die Auffassung, dass es sich bei der auf diesen Veräußerungsgewinn entfallenden Einkommensteuer um Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handele. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer 2020 gegenüber dem Insolvenzverwalter fest.
Hiergegen wandte sich der Insolvenzverwalter (Kläger).
FG Münster: Veräußerungsgewinn keine Masseverbindlichkeit, wenn Beschlagnahmung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte
Die Klage hiergegen hatte Erfolg. Nach Auffassung des FG Münster (Urteil 25.1.2024, 10 K 1934/21 E, EFG 2024, 1030) handele es sich bei der Einkommensteuer auf den (vermeintlichen) privaten Veräußerungsgewinn nicht um eine Masseverbindlichkeit.
Entscheidung: Privates Veräußerungsgeschäft und Masseverbindlichkeit liegen vor!
Der BFH gab der Revision des Finanzamts statt. Die Entscheidung betont zunächst, dass auch eine Zwangsversteigerung ein privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auslösen könne. Der hieraus resultierende steuerpflichtige Veräußerungsgewinn und die darauf lastende Einkommensteuer seien als Masseschuld anzusehen, wenn die Zwangsversteigerung während des laufenden Insolvenzverfahrens erfolge.
Privates Veräußerungsgeschäft liegt vor
- Die Anschaffung und die Veräußerung der zwangsversteigerten ETW erfolgte innerhalb des 10 Jahreszeitraums (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG); mangels Eigennutzung kam die Ausnahmeregelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht zur Anwendung.
- Bei Veräußerung über ein Zwangsversteigerungsverfahren handelt es sich auch um eine willentliche Bestätigung („Geschäft“), da der Eigentumsverlust durch die Befriedigung des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers abgewendet werden kann (Rz. 19). Der Fall ist nicht mit einer nicht steuerbaren Enteignung vergleichbar (Rz. 17-19).
- Der Versteigerungserlös (Meistgebot) stellt den Veräußerungspreis dar.
- Als Veräußerungszeitpunkt war auf den Zeitpunkt der Abgabe des Meistgebots abzustellen (Rz. 20).
Insolvenzverwalter schuldet die anteilige Einkommensteuer
- Der Insolvenzverwalter schuldet die auf das private Veräußerungsgeschäft entfallende Einkommensteuer, da es sich um eine Masseverbindlichkeit handelt.
- Grundstücke, an denen ein Absonderungsrecht besteht, sind weiterhin Bestandteil der Insolvenzmasse. Denn sie stehen weiterhin im Eigentum des Insolvenzschuldners.
- Für die zeitliche Zuordnung zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten spielt es keine Rolle, ob die Beschlagnahmung zeitlich vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt (Rz. 32). Maßgebend ist vielmehr der Zeitpunkt der Verwirklichung der Steuerpflicht nach § 23 EStG durch Abgabe des Meistgebots. Erst dann ist der Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet.
- Durch die Verwirklichung der Steuerpflicht im Insolvenzverfahrenszeitraum scheidet eine Zuordnung zu den Insolvenzforderungen aus.
- Für die Zuordnung als Masseverbindlichkeit gilt dies selbst dann, wenn das zur Insolvenzmasse gehörende und mit Absonderungsrecht belastete Grundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und dadurch das private Veräußerungsgeschäft ausgelöst wird (Rz. 26). Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO ist die Steuerverbindlichkeit „in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse“ begründet worden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
Praxisfolgen
Die BFH-Entscheidung bestätigt zu Recht die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung. Sie verdeutlicht der Praxis erneut die Gefahr der Steuerpflicht eines privaten Veräußerungsgeschäfts nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Beachtenswert ist auch eine BFH-Entscheidung, wonach bei trennungsbedingter Veräußerung eines Miteigentumsanteils an einem bebauten Grundstück nach dem Trennungsjahr ein privates Veräußerungsgeschäft ausgelöst werden kann (BFH, Urtei v. 14.2.2023, IX R 11/21, BStBl II 2023, 642).
Im Entscheidungsfall war die Höhe des Veräußerungsgewinns zwischen den Beteiligten unstrittig. Hier hätte es Differenzen geben können, weil nach neuerer Auffassung des BFH die ausschließlich durch ein Insolvenzverfahren verursachten Aufwendungen nicht als Werbungskosten – auch nicht bei Ermittlung des privaten Veräußerungsgewinns – ansetzbar sind (BFH, Urteil v. 13.8.2024, IX R 29/23, BFH/NV 2024, 1463). Nach Auffassung des BFH erfolgte die Verwertung von Wirtschaftsgütern nicht zum Zwecke der Erzielung von Einkünften des Insolvenzschuldners.
Der BFH hat die Klage jedoch an das FG Hamburg zurückverwiesen, da im zweiten Rechtsgang noch festgestellt werden müsse, inwieweit die streitigen Aufwendungen ausschließlich durch das Insolvenzverfahren veranlasst worden seien oder vordergründig einer Einkunftsquelle zuzuordnen gewesen wären, wenn die Klägerin außerhalb des Insolvenzverfahrens selbst veräußert hätte.
Bezüglich der Abzugsfähigkeit von Insolvenzverwaltervergütungen ist derzeit ein Revisionsverfahren vor dem BFH anhängig (Niedersächsisches FG, Urteil v. 22.6.2023, 3 K 105/22, EFG 2023, 1621, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 15/23). Eventuell wird die Finanzverwaltung die amtliche Veröffentlichung der BFH-Entscheidung v. 13.8.2024 (a.a.O.) bis zu dieser Entscheidung zurückstellen. Offen ist, ob die Finanzverwaltung bis dahin eine Aufteilung der Insolvenzverwaltervergütung in Betriebsausgaben, Werbungskosten oder nicht abziehbare Privataufwendungen zulassen wird.
BFH, Urteil v. 12.11.2024, IX R 6/24; veröffentlicht am 27.2.2025
Alle in der 9. Kalenderwoche veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen