Der BFH hat unter anderem zum Umfang der vom BVerfG ausgesprochenen Teil-Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002 Stellung genommen.

Hintergrund: Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen

Gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 gelten Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger.

Die Beteiligten stritten im Urteilfall darüber, ob im Streitzeitraum 2004 bis 2006 solche vororganschaftliche Mehrabführungen vorlagen, ob eine körperschaftsteuerliche Ausschüttungsbelastung i. S. des § 38 KStG herzustellen war und ob die Einführung des § 14 Abs. 3 KStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 gegen das Rückwirkungsverbot verstieß.

  • Die Klägerin, eine ehemals gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, schloss mit der an ihr beteiligten T GmbH einen Ergebnisabführungsvertrag ab (mit Wirkung ab dem 1.1.2002).
  • Die fünfjährige Mindestlaufzeit endete am 31.12.2006.
  • Nach dem Wegfall der persönlichen Steuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen (§ 5 Abs. 1 Nr. 10 KStG 1984) hatte die Klägerin in ihrer steuerlichen Anfangsbilanz zum 1.1.1991 abweichend von der Handelsbilanz ihre Wohnungsbestände gemäß § 13 Abs. 2 und 3 KStG 1984 auf die höheren Teilwerte aufgestockt.
  • Aus den Ansatzdifferenzen ergaben sich in den streitgegenständlichen Veranlagungszeiträumen höhere Abschreibungen in der Steuerbilanz als in der Handelsbilanz. Im Weiteren ergaben sich aufgrund der höheren Restbuchwerte in der Steuerbilanz zudem geringere Erträge aus dem Verkauf einzelner Grundstücke.
  • Insgesamt überstiegen damit die handelsbilanziellen Ergebnisse der Streitjahre die steuerbilanziellen Ergebnisse.

Das Finanzamt (FA) behandelte die Summe der Mehrabschreibungen und der Mindererlöse („Mehrabführungen“) als Gewinnausschüttungen im Sinne des § 14 Abs. 3 KStG 2002 und stellte dementsprechend bei der Klägerin die körperschaftsteuerliche Ausschüttungsbelastung gemäß § 38 KStG 2002 her. Die daraus resultierende Körperschaftsteuererhöhung führte in den Körperschaftsteuerbescheiden für die Streitjahre zu einer entsprechend höheren Festsetzung von Körperschaftsteuer.

Verfahrensgang

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab.

Der BFH hatte das daran anschließende Revisionsverfahren zunächst ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 infolge Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist (BFH, Beschluss v. 27.11.2013, I R 36/13, BStBl. II 2014, 651).

Das BVerfG hatte daraufhin festgestellt, dass § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 in bestimmten Sachverhaltskonstellationen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) verstößt, und die Vorschrift teilweise für nichtig erklärt (BVerfG, Beschluss v. 14.12.2022, 2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14).

Der BFH hatte sodann den Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen I R 16/23 (I R 36/13) wieder aufgenommen.

Entscheidung: Sachverhalt fällt nicht unter die (Teil )Nichtigerklärung des BVerfG

Die steuerlichen Mehrabschreibungen sowie die damit verbundenen geringeren Erträge aus dem Verkauf einzelner Grundstücke haben im Urteilsfall zu vororganschaftlich verursachten Mehrabführungen geführt, für die eine entsprechende Körperschaftsteuererhöhung festzusetzen ist. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 verstößt in der Konstellation des Streitfalls nicht gegen Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und unterliegt deshalb nicht der Nichtigerklärung durch das BVerfG.

Bestätigung der Rechtsprechung zum sog. Saldierungsverbot

Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen im Sinne von § 14 Abs. 3 Satz 1 des KStG 2002 sind als rein rechnerische Differenzbeträge zu verstehen. Daher ist eine solche Mehrabführung der Höhe nach nicht auf den Betrag des handelsbilanziellen Jahresüberschusses begrenzt, den die Organgesellschaft (tatsächlich) an den Organträger abgeführt hat, sie kann auch nicht durch Saldierung mit weiteren vororganschaftlichen und/oder organschaftlichen Mehr- und Minderabführungen dem Betrag nach begrenzt werden (sog. geschäftsvorfallbezogene Betrachtungsweise; BFH, Beschlüsse v. 6.6.2013, I R 38/11, BStBl. II 2014, 398 und v. 27.11.2013, I R 36/13, BStBl. II 2014, 651). Der BFH hält an dieser Auslegung – auch unter Berücksichtigung der in der Literatur mitunter geäußerten Kritik – nach nochmaliger Überprüfung fest.

Im Urteilsfall haben die streitgegenständlichen Abweichungen in der Steuerbilanz gegenüber dem handelsbilanziellen Jahresüberschuss ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit. Die Klägerin hat in ihrer steuerlichen Anfangsbilanz zum 1.1.1991 ihre Wohnungsbestände auf die höheren Teilwerte aufgestockt, während sie in der Handelsbilanz die Buchwerte fortgeführt hat. Infolge der daraus resultierenden höheren Abschreibungsbeträge sowie der geringeren Erträge aus dem Verkauf einzelner Grundstücke wurden in den Streitjahren niedrigere Ergebnisse ausgewiesen. Nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 14 Abs. 3 Satz 4 KStG 2002 ist ein Teilwertansatz nach § 13 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 der vororganschaftlichen Zeit zuzurechnen. Dieser Bilanzansatz hat die streitgegenständlichen Mehrabführungen ausgelöst, wodurch diese wiederum, wie von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 gefordert, vororganschaftlich „verursacht“ sind (zur abweichenden Rechtslage vor der gesetzlichen Neuregelung vgl. BFH, Urteil v. 18.12.2002, I R 51/01, BStBl. II 2005, 49).

Gesetzlich fingierte Gewinnausschüttungen

Indem die Mehrabführungen durch § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 als Gewinnausschüttungen fingiert werden, handelt es sich zugleich um entsprechende Leistungen im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002, die die in § 38 Abs. 2 KStG 2002 angeordnete Körperschaftsteuererhöhung auslösen. Ein tatsächlicher Vermögensabfluss ist schon nach der Wortbedeutung in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 nicht erforderlich.

Sachverhalt fällt nicht unter die (Teil )Nichtigerklärung

Der streitgegenständliche Sachverhalt fällt nicht unter die (Teil )Nichtigerklärung durch das BVerfG. Dieses hatte entschieden, dass § 34 Abs. 1 und Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002 nichtig sind, „soweit sie § 14 Abs. 3 KStG 2002 auf der Ebene der Organgesellschaft zur Anwendung bringen auf

(1.) Mehrabführungen, die auf der Grundlage eines zwischen dem 5.3.2003 und dem 13.8.2004 abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrags vor dem 1.1.2007 erfolgen,

(2.) Mehrabführungen, die auf der Grundlage eines vor dem 5.3.2003 abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrags

  • (a) auf den Schluss eines in 2004 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen, wenn der Ergebnisabführungsvertrag nach dem 4.3.2003 eine Kündigung spätestens zum 31.12.2003 zugelassen hätte, oder
  • (b) auf den Schluss des ersten in 2005 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen, wenn der Ergebnisabführungsvertrag nach dem 4.3.2003 eine Kündigung spätestens zum 31.12.2004 zugelassen hätte, oder
  • (c) auf den Schluss eines vor dem 16.12.2004 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen,

soweit durch die jeweilige Mehrabführung oder die Summe der jeweiligen Mehrabführungen in dem betreffenden VZ eine Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 KStG ausgelöst wird, die die durch die jeweilige Mehrabführung oder die Summe der jeweiligen Mehrabführungen in dem betreffenden VZ ausgelöste Körperschaftsteuerminderung gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 KStG 2002 übersteigt“.

Im Urteilsfall ist keine der vom BVerfG als vertrauensschutzwürdig beschriebenen Konstellationen gegeben.

  • Die Klägerin hat den Ergebnisabführungsvertrag am 25.10.2002 und damit vor dem 5.3.2003 abgeschlossen.
  • In dieser Fallkonstellation ist nach der Entscheidung des BVerfG das Vertrauen (nur) derjenigen steuerpflichtigen Organgesellschaften uneingeschränkt schutzwürdig, die im Jahr 2003 beziehungsweise 2004 eine dann gegebene Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des BFH (Urteile v. 18.12.2002, I R 51/01, BStBl. II 2005, 49 und v. 18.12.2002, I R 68/01, und v. 18.12.2002, I R 50/01) verstreichen ließen.
  • Darin liegt eine neue steuerrelevante Disposition, bei der die Steuerpflichtigen bis zum Gesetzesbeschluss auf die geltende durch den BFH geklärte Rechtslage vertrauen durften. Dieses Vertrauen ist für Mehrabführungen auf den Schluss von im Jahr 2004 endenden Wirtschaftsjahren sowie auf das erste im Jahr 2005 endende Wirtschaftsjahr uneingeschränkt schutzwürdig (BVerfG, Beschluss v. 14.12.2022, 2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14, BVerfGE 165, 103, Rz 158).
  • Abzustellen ist damit in der streitgegenständlichen Fallkonstellation darauf, ob der Ergebnisabführungsvertrag eine Kündigung spätestens zum Ende des Jahres 2003 beziehungsweise zum Ende des Jahres 2004 zugelassen hätte.
  • Dies ist hier nicht der Fall, da die fünfjährige Mindestlaufzeit (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG 2002) des Vertrages erst zum 31.12.2006 geendet hat.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags vor dem 5.3.2003, der danach weder zum 31.12.2003 noch zum 31.12.2004 gekündigt werden konnte, schutzwürdiges Vertrauen allein unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung besteht. Diese greift aber nach den Maßgaben des BVerfG nur für Mehrabführungen ein, die sich auf den Schluss eines nach dem 31.12.2003, aber spätestens am 15.12.2004 endenden Wirtschaftsjahres ergeben, nicht aber für die streitgegenständlichen, sich auf den Schluss von nach dem 15.12.2004 endenden Wirtschaftsjahren ergebenden Mehrabführungen. Für diese überwiegt bei einer Gesamtabwägung vielmehr das berechtigte Änderungsinteresse des Gesetzgebers.



BFH, Urteil v. 10.4.2024, I R 16/23 (I R 36/13)
; veröffentlicht am 16.8.2024

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