Gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags bestehen auch für Zeiträume nach dem 31.12.2018 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 EUR teilbaren Betrag (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).

Rechtsfrage

Ist die Höhe des in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteils verfassungswidrig?

Sachverhalt: Hohe Säumniszuschläge u.a. für Umsatzsteuerfestsetzungen

  • Der Kläger ist Steuerberater und führt steuerpflichtige Umsätze aus. Aufgrund von Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 2012 bis 2014 und von Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. bis 3. Quartal 2017 und für das 1. Quartal 2018 ergaben sich Säumniszuschläge i. H. v. 59,50 EUR.
  • Am 21.12.2019 beantragte der Kläger den Erlass eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 AO über diese Säumniszuschläge. Mit Abrechnungsbescheid vom 25.2.2020 stellte das Finanzamt (FA) fest, dass die Säumniszuschläge zu Recht verwirkt seien. Der Einspruch blieb erfolglos.
  • Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Unter Bezugnahme auf Entscheidungen des II., VI. und VII. Senats des BFH war das FG der Auffassung, dass die Entscheidung des BVerfG (Beschluss v. 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158 S. 282) zur Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe nach den §§ 233a, 238 AO nicht auf die Zinshöhe bei Säumniszuschlägen übertragen werden könne. Auch sei kein Verstoß gegen das Unionsrecht festzustellen.

Im Revisionsverfahren rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, dass gegen die Entscheidung des VII. Senats des BFH v. 23.8.2022, VII R 21/21, BStBl 2023 II S. 304, erhebliche Bedenken bestünden. Insbesondere enthalte – entgegen der Auffassung des VII. Senats – die Regelung des § 240 AO einen fassbaren Zinsanteil. Dies ergebe sich auch aus der älteren Rechtsprechung. So habe der V. Senat des BFH bereits 1991 im Leitsatz zu seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass die Säumniszuschläge einen Zinsanteil enthielten (BFH, Urteil v. 29.8.1991, V R 78/86, BStBl 1991 II S. 906). Auch aus der Entstehungsgeschichte der Säumniszuschläge und der Widersprüchlichkeit der Rechtsprechung ergebe sich der Zinscharakter dieser steuerlichen Nebenleistung.

Auch liege ein Verstoß gegen das Unionsrecht vor. Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sei verletzt, weil die Verhängung von Säumniszuschlägen gegen die Unschuldsvermutung verstoße.

Entscheidung: Gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß und unionsrechtskonform

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen und entschieden, dass das FG zu Recht erkannt hat, dass § 240 AO in den Streitjahren verfassungsgemäß und unionsrechtskonform ist. Die Regelung steht auch im Einklang mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Höhe der Säumniszuschläge nicht verfassungswidrig

Soweit der Kläger mit der Revision vorträgt, die Erhebung von Säumniszuschlägen sei verfassungsrechtlich deshalb (teilweise) unzulässig, weil die vom BVerfG in seinem Beschluss v. 8.7.2021 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach den §§ 233a, 238 AO i. H. v. 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, auf Säumniszuschläge zu übertragen seien, ist die Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO in der Rechtsprechung des BFH auch für hier streitige Zeiträume nach dem 31.12.2018 bereits durch andere Senate bestätigt worden. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung aus den dort genannten Gründen an. Er teilt insbesondere die Auffassung, dass der Liquiditätsvorteil nur Nebenzweck ist.

Die vom III., V. und VIII. Senat im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung zwischenzeitlich geäußerten ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge sind nach Auffassung des erkennenden Senats durch die – im Hauptsacheverfahren ergangenen – Entscheidungen des VII. und X. Senats des BFH überholt. Dies gilt auch für die vom VIII. Senat in einem Aussetzungsverfahren geäußerten Zweifel.

Kein Verstoß gegen unionsrechtliche Grundsätze

Ebenso ist kein Verstoß gegen unionsrechtliche Grundsätze festzustellen. Der Senat verweist dazu auf die Begründungen der hierzu bereits ergangenen Entscheidungen des EuGH und des BFH (vgl. EuGH, Urteil Network One Distribution v. 5.12.2024, C-506/23; BFH, Urteile v. 23.8.2023, X R 30/21, BStBl 2024 II S. 215; v. 23.8.2022, VII R 21/21, BStBl 2023 II S. 304; v. 15.11.2022, VII R 55/20, BStBl 2023 II S. 621).

Auch keine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 EMRK

Die Verwirkung von Säumniszuschlägen ist nicht als „Straftat“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 EMRK anzusehen. Allein die Nichtzahlung einer Abgabe innerhalb der dafür vorgesehenen gesetzlichen Frist (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO) stellt keine „Tat“ dar, die ihrer Natur nach als strafbar angesehen werden könnte. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung gibt jedenfalls der eindeutige Normzweck des § 240 Abs. 1 AO den Ausschlag dafür, dass die Norm auch im Hinblick auf die Art des Verstoßes keinen strafrechtlichen Charakter hat.

Säumniszuschläge dienen dazu, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen. Als Druckmittel eigener Art, das auf die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts zugeschnitten ist, haben Säumniszuschläge zwar auch repressiven und präventiven Charakter. Der repressive Charakter, der in der Anknüpfung an einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang (Unterlassen) zum Ausdruck kommt, ist aber – wie auch beim Verspätungszuschlag – nicht mit einem sozialethischen Unwerturteil verbunden; eine abschreckende, generalpräventive Wirkung ist nicht beabsichtigt.. Vielmehr sanktioniert § 240 Abs. 1 AO lediglich eine (objektive) verfahrensrechtliche Pflichtverletzung im Hinblick auf die dadurch typischerweise bewirkte Verzögerung der Abgabeneinnahmen im Verwaltungsverfahren.

Auch sieht die Norm nicht typische strafrechtliche Sanktionen wie die Freiheitsentziehung oder die Eintragung ins Strafregister vor. Zwar können im Einzelfall die Säumniszuschläge in ihrer Summe sehr hoch sein. Auch kann nach § 328 Abs. 1 AO i. V. m. §§ 329, 334 AO eine Ersatzzwangshaft in bestimmten Fällen angeordnet werden. Dieses Zwangsmittel steht aber nicht für die Vollstreckung wegen Geldforderungen zur Verfügung. Diese Umstände ermöglichen daher keine Einordnung der Säumniszuschläge nach ihrer Art und Schwere als „Straftat“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 EMRK.



BFH, Urteil v. 19.2.2025, XI R 18/23
; veröffentlicht am 30.5.2025

Alle am 30.5.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen