Übernimmt ein Unternehmer gefährlichen Abfall zum ausschließlichen Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen, liegt lediglich eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vor. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes kommt mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht.

Hintergrund: Tauschähnlicher Umsatz

Besteht das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung, ist ein tauschähnlicher Umsatz gegeben (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG). Beim tauschähnlichen Umsatz gilt gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG der Wert jedes Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz.

Sachverhalt: Klägerin ist zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb

  • Die Klägerin, eine GmbH, war als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert.
  • Die Kunden der Klägerin setzten in ihren Betrieben Chemikalien ein, die nach dem betrieblichen Einsatz gefährliche Abfälle i. S. d. Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) darstellten und deren ordnungsgemäße Entsorgung nachzuweisen war.
  • Die Klägerin nahm den Kunden die verunreinigten Chemikalien zum Zwecke der Entsorgung ab. Sie bewahrte die verunreinigten Chemikalien zunächst in speziellen, nach den gesetzlichen Vorschriften ausgestatteten Lagern auf. In diesen Lagern wurden die einzelnen verunreinigten Chemikalien ihrer Art nach getrennt gesammelt und der Aufbereitung im Rahmen eines chemischen Prozesses zugeführt. Dabei löste die Klägerin die Verunreinigungen aus den Chemikalien in ihren Aufbereitungsanlagen heraus und entsorgte diese.
  • Die gereinigten Chemikalien veräußerte die Klägerin als „Regenerat“, falls sie in marktgängiger Qualität aufbereitet werden konnten. Es war jedoch nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen des Reinigungsprozesses kein ausreichend reines Regenerat gewonnen werden konnte. In diesem Fall musste die Klägerin die weiterhin verunreinigten Chemikalien auf eigene Kosten thermisch entsorgen lassen.
  • Den Preis für die Entsorgung der gefährlichen Abfälle bestimmte die Klägerin anhand des Grades der Verunreinigung, der in ihrem Betrieb erst nach dem Erhalt der verunreinigten Chemikalien durch eine Analyse festgestellt wurde. Der Entsorgungspreis variierte außerdem nach der Verwendungsart der Chemikalien im jeweiligen Betrieb des Kunden, die ebenfalls auf den Umfang der Verunreinigung schließen ließ.

Nach Auffassung des Finanzamts (FA) stellte die Entsorgung der verunreinigten Chemikalien einen tauschähnlichen Umsatz dar. Die Klägerin erhalte für ihre Entsorgungsleistung neben dem vereinbarten Entsorgungspreis als Gegenleistung eine Lieferung. Liefergegenstand seien die verunreinigten Chemikalien, die die Klägerin von ihren Kunden erhalte. Daher erhöhe der Wert der verunreinigten Chemikalien die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Entsorgungsleistung.

FG weist Klage als unbegründet ab

Die gegen den Umsatzsteuerbescheid 2018 erhobene Klage wies das FG ab. Nach dessen Auffassung erhöhe der Wert der verunreinigten Chemikalien zum Zeitpunkt der Übernahme im Rahmen tauschähnlicher Umsätze mit Baraufgabe die Bemessungsgrundlage für die Entsorgungsleistungen der Klägerin. Im Streitfall erbringe die Klägerin im Bereich der Abfallentsorgung gegenüber ihren Kunden entgeltliche sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG. Die Kunden führten zudem mit der Übergabe der verunreinigten Chemikalien Lieferungen an die Klägerin aus, da es sich bei diesen Chemikalien um werthaltige Abfälle handele.

Entscheidung: BFH hebt Urteil auf und gibt Klage statt

Übernimmt ein Unternehmer gefährlichen Abfall zum ausschließlichen Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des KrWG genannten Verwertungsverfahren zur Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen, liegt nach Auffassung des BFH lediglich eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vor.

Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes kommt mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Unternehmer einen möglichen Verkaufspreis von Stoffen, die er durch die spätere Verwertung des gefährlichen Abfalls gewinnen und wieder verkaufen kann, kalkulatorisch als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.

Voraussetzung für einen tauschähnlichen Umsatz nicht gegeben

Nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG handelt es sich auch dann um einen tauschähnlichen Umsatz, wenn dieser mit einer Barzahlung verbunden ist (tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe).

Der tauschähnliche Umsatz mit Baraufgabe setzt voraus, dass sonstige Leistungen, wie sie von der Klägerin erbracht wurden, nicht nur durch eine Geldzahlung, sondern zusätzlich durch eine Lieferung oder sonstige Leistung vergütet werden. Hieran fehlt es im Urteilsfall. Die Kunden der Klägerin haben unstreitig keine sonstigen Leistungen an die Klägerin erbracht. Ebenso fehlt es an einer von den Kunden an die Klägerin ausgeführten Lieferung, die als Entgelt für die Entsorgungsleistung der Klägerin in Betracht kommen könnte.

Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung bezieht sich der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen, sondern erfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein. Die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, beinhaltet, dass die Partei, auf die diese Befähigung übertragen wird, die Möglichkeit hat, Entscheidungen zu treffen, die sich auf die rechtliche Situation des betreffenden Gegenstands auswirken, etwa die Entscheidung, den Gegenstand zu verkaufen. Das sich hieraus ergebende Erfordernis der Verschaffung eigentümerähnlicher Verfügungsmacht legt der BFH der Auslegung von § 3 Abs. 1 UStG zugrunde.

Auslegung des Bergriffs der „Lieferung“ durch FG rechtsfehlerhaft

Das FG ist vorliegend rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die verunreinigten Chemikalien allein deshalb geliefert worden seien, weil sie werthaltige Abfälle darstellten und ihr Wert nach dem Inhalt der Vereinbarungen zwischen den Beteiligten die Höhe des Entgelts der Entsorgung bestimmt hätte. Vielmehr kommt der Übergabe der gefährlichen Abfälle an die Klägerin zur Entsorgung im Urteilsfall keine eigenständige Bedeutung zu. Eine Lieferung hat mit der Übergabe der gefährlichen Abfälle nach dem zwischen der Klägerin und ihren Kunden zugrunde liegenden Rechtsverhältnis gerade nicht erfolgen sollen.

Das FG hat insbesondere verkannt, dass die Übergabe der verunreinigten Chemikalien nur zum Zweck der Entsorgung nach dem Verwertungsverfahren erfolgte. Das der Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ist ausschließlich auf die Erbringung einer Entsorgungsleistung, nicht aber auch auf eine Lieferung an die Klägerin gerichtet.

Die Übergabe der gefährlichen Abfälle ausschließlich zum Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung stellt im Urteilsfall lediglich eine untergeordnete Handlung zum Erhalt der Entsorgungsleistung dar, da sie notwendig ist, um die Entsorgungsleistung durchführen zu können. Eine eigenständige Lieferung ist in der Übergabe des gefährlichen Abfalls nach Maßgabe des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses nicht zu sehen.

Die Klägerin als zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb schuldet einen Leistungserfolg i. S. eines Werkvertrags und erhält die gefährlichen Abfälle gerade nicht zur freien Verfügung. Denn solange die Entsorgung nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, bleiben die Kunden zur ordnungsgemäßen Entsorgung der gefährlichen Abfälle verpflichtet. Ausschließlich von dieser Verpflichtung haben sich die Kunden befreien und ausschließlich zur Erreichung dieses Zweckes haben sie die gefährlichen Abfälle der Klägerin übergeben. Ohne die Übergabe der gefährlichen Abfälle hätte die Klägerin den geschuldeten Leistungserfolg nicht herbeiführen können, so dass der Übergabe nach dem Willen der Beteiligten keine eigenständige Bedeutung zugekommen ist.

Gefährliche Abfälle keine marktfähige Handelsware

Gegen die Annahme einer Lieferung der gefährlichen Abfälle spricht zudem, dass es sich bei den gefährlichen Abfällen nicht um marktfähige Handelsware handelte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die gefährlichen Abfälle nur nach dem Verwertungsverfahren entsorgt werden dürften. Ein Handel mit diesen Abfällen ist aufgrund der gegenüber den entsorgungspflichtigen Kunden und der nach dem KrWG bestehenden Verpflichtung, die Abfälle zu entsorgen, nicht möglich und zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich.

Die Annahme des FG, die Klägerin habe den verunreinigten Chemikalien einen „gewissen Wert“ beigemessen, weil sie daraus – nach einer Bearbeitung – verkaufsfähige, gereinigte Chemikalien hergestellt und die verunreinigten Chemikalienreste als Rohstoff für die weitere Verarbeitung benötigt habe, rechtfertige es nicht, eine Lieferung der gefährlichen Abfälle anzunehmen. Der für eine steuerbare Lieferung erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt kann nur durch ein auf eine Lieferung gerichtetes Rechtsverhältnis begründet werden, das im Streitfall gerade nicht vorliegt. Die Klägerin hat den möglichen Verkaufspreis der gereinigten Chemikalien lediglich im Rahmen ihrer eigenen Kalkulation als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.

Spruchreife der Sache gegeben

Die Sache war nach Ansicht des BFH auch spruchreif. Das FG hat rechtsfehlerhaft die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin durch die Entsorgung gefährlicher Abfälle i. S. d. KrWG erbrachten sonstigen Leistungen um einen Wert für die gefährlichen Abfälle erhöht. Liegen aber keine Lieferungen an die Klägerin vor, ist das Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben.



BFH, Urteil v. 18.4.2024, V R 7/22
; veröffentlicht am 29.8.2024

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