Hintergrund: Gesetzliche Vorgaben
Nach § 10a Satz 1 GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag i. H. v. 1 Mio. EUR um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. EUR übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist nach § 10a Satz 2 GewStG bis zu 60 % um nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen (§ 10a Satz 6 GewStG).
Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach dem Satz 1 und 2 des § 10a GewStG zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge (§ 10a Satz 7 GewStG). Im Fall des § 2 Abs. 5 GewStG kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben (§ 10a Satz 8 GewStG). Die Sätze 9 und 10 des § 10a GewStG sehen die entsprechende Anwendung von Vorschriften des KStG vor.
Sachverhalt: GmbH veräußert Geschäftszweig
Bei der Klägerin handelt es sich um eine GmbH. Sie hatte als Gesamtrechtsnachfolgerin einer GmbH & Co. KG im Jahr 2011 deren Gewerbeverlust übernommen. Die Klägerin führte den übernommenen Betrieb der A GmbH & Co. KG zunächst weiter. Im Jahr 2013 veräußerte die Klägerin ihr operatives Geschäft im Rahmen eines Asset Deal an eine andere GmbH. Im Anschluss hieran wurde der Unternehmensgegenstand und die Firma der Klägerin geändert. Sie firmierte nun als C-GmbH, deren Unternehmensgegenstand das Halten und Verwalten von Beteiligungen aller Art ist.
Das Finanzamt kam im Rahmen einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, aufgrund des Asset Deals sowie des damit einhergehenden Wegfalls der Unternehmensidentität seien die auf die Klägerin übergegangenen und noch nicht genutzten gewerbesteuerlichen Verluste der früheren A GmbH & Co. KG weggefallen.
Entscheidung: Kein Entfallen des Gewerbeverlusts
Im geltenden Recht besteht keine Grundlage für das vom FA bejahte Entfallen des Gewerbeverlusts. Eine solche ist weder in § 10a GewStG noch in § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG enthalten. Ebenso wenig ist eine Regelung außerhalb des GewStG einschlägig.
Das FG hat im Urteilsfall deshalb zu Recht entschieden, dass der von der KG herrührende Gewerbeverlust bei der Klägerin trotz der im Streitjahr erfolgten Veräußerung des verlustverursachenden früheren Geschäftsbetriebs der KG als vortragsfähiger Fehlbetrag erhalten blieb.
Die Veräußerung des von der KG übernommenen Geschäftsbetriebs änderte nichts daran, dass die bei der Klägerin verbliebene andere Unternehmenstätigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG weiterhin in vollem Umfang als einheitlicher und zugleich identischer Gewerbebetrieb galt.
Insbesondere galt der Gewerbebetrieb der Klägerin nicht nach § 2 Abs. 5 Satz 1 GewStG als eingestellt, da er im Zuge des Asset Deals nicht „im Ganzen“ auf einen anderen Unternehmer überging. Aus dem unmittelbar ohnehin nicht den übergebenden, sondern den übernehmenden Unternehmer betreffenden § 10a Satz 8 GewStG folgt deshalb im Streitjahr kein Entfallen des von der Klägerin bereits im Jahr 2011 übernommenen und in der Folgezeit fortgeführten Verlustbetrags.
Auch nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften des KStG und insbesondere aus § 8c KStG in der im Streitjahr anwendbaren Fassung ist er nicht entfallen.
Asset Deal berührt Unternehmensidentität nicht
Für die Geltendmachung eines Gewerbeverlusts bedarf es sowohl der Unternehmeridentität als auch der Unternehmensidentität. Im Urteilsfall liegt kein Umstand vor, der im Streitjahr 2013 gegen den Fortbestand der Unternehmeridentität sprechen könnte. Im Streit steht hier ausschließlich die Unternehmensidentität der Klägerin.
- Das Erfordernis der Unternehmensidentität wird aus dem Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer abgeleitet, der es nicht zulasse, dass Verluste eines Gewerbebetriebs i. S. d. § 2 Abs. 1 GewStG bei einem anderen Gewerbebetrieb berücksichtigt werden.
- Die Unternehmensidentität liegt vor, wenn der im Verlustabzugsjahr bestehende Gewerbebetrieb mit jenem identisch ist, der im Verlustentstehungsjahr bestand.
- Bei einer Kapitalgesellschaft wird die Unternehmensidentität insofern als unproblematisch angesehen, als ihre Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt. Eine Änderung ihrer wirtschaftlichen Betätigung berührt die Unternehmensidentität einer Kapitalgesellschaft nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH nicht, solange derselbe einheitliche Gewerbebetrieb i. S. d. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG weiterhin existiert. Das Kriterium der Unternehmensidentität hat danach für den Fortbestand des vortragsfähigen Gewerbeverlusts bei einer Kapitalgesellschaft – zumindest grundsätzlich – keine Bedeutung.
- Von dem Grundsatz der Unerheblichkeit der Unternehmensidentität bei einer Kapitalgesellschaft ist auch im Anschluss an eine Anwachsung – wie im Streitfall (d. h. nach der Übernahme des bei einer Personengesellschaft entstandenen Gewerbeverlusts) – keine Ausnahme zu machen, obwohl die Frage sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung umstritten ist.
Die Frage der Unternehmensidentität hat bei einer Kapitalgesellschaft nicht deswegen ausnahmsweise eine andere oder besondere Bedeutung, weil der von ihr übernommene Gewerbeverlust im Ursprung von einer Personengesellschaft herrührt. Es bedürfte vielmehr einer rechtlichen Grundlage, die für den Fall, dass eine Kapitalgesellschaft im Wege der Anwachsung einen für eine Personengesellschaft festgestellten Gewerbeverlust übernommen hat, die Verlustnutzung von der identitätswahrenden Fortführung des verlustverursachenden Betriebs der Personengesellschaft abhängig macht. An einer solchen Vorschrift fehlt es im geltenden Recht; dies gilt insbesondere auch für das Entfallen des nach der Anwachsung ununterscheidbar festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusts der Kapitalgesellschaft.
Hinweis: Andere Sichtweise bedarf normativer Einschränkung
Für die Sichtweise des BFH spricht der seit längerem als Argument für die dauerhafte Unternehmensidentität einer Kapitalgesellschaft angeführte Grundsatz der Einheitlichkeit des Gewerbebetriebs. Anders als bei einer Personengesellschaft kommt es danach bei einer Kapitalgesellschaft für die Nutzung ihres Gewerbeverlusts nicht auf die Unternehmensidentität an, weil diese unabhängig von der Art ihrer gewerblichen Tätigkeit erhalten bleibt.
Der seit dem Jahr 1986 in der Rechtsprechung des BFH gefestigte Grundsatz, dass die Änderung der wirtschaftlichen Betätigung einer Kapitalgesellschaft ihre Unternehmensidentität nicht berührt, bedürfte einer normativen Einschränkung, um zu der vom FA vertretenen „Auslegung“ des § 10a GewStG im Anwachsungsfall zu gelangen. Einer näheren gesetzlichen Ausgestaltung bedürfte es hierbei nicht nur in materiellrechtlicher, sondern auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Ein im Bescheid einheitlich festgestellter Gewerbeverlust lässt nämlich nicht erkennen, aus welchen einzelnen ursprünglichen Bestandteilen er sich zusammensetzt. Ebenso wenig ist gesetzlich geregelt, nach welchen Kriterien und insbesondere in welcher Reihenfolge die Verwendung des festgestellten Gewerbeverlusts zu erfolgen hat. Dass es gesetzliche Bestimmungen zu einem „fortführungsgebundenen“ Verlustvortrag im derzeit geltenden Recht gibt und wie diese aussehen können, belegen die nach dem Streitjahr eingeführten Regelungen des § 8d KStG und des § 10a Satz 10 ff. GewStG.
BFH, Urteil v. 25.4.2024, III R 30/21; veröffentlicht am 5.9.2024
Alle am 5.9.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen