Hintergrund: Gesetzliche Regelung und Streitfrage
Zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG gehören auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG). Gehört auch die auf den Verdienstausfall entfallende Einkommensteuer, die ein Versicherungsunternehmen dem Geschädigten nach durchgeführter Besteuerung ebenfalls erstattet hat, zu den Einnahmen nach § 24 Nr. 1a EStG und kann die Entschädigung tarifermäßigt besteuert werden?
Sachverhalt: Versicherungsentschädigung wegen einer nicht fachgerechten medizinischen Behandlung
Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:
- Die Kläger sind Ehegatten, die für die Streitjahre 2017 und 2018 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.
- Die Klägerin war nichtselbständig tätig. Sie wurde infolge eines medizinischen Behandlungsfehlers erwerbsunfähig. Ihren Verdienstausfallschaden erhält sie von einer Versicherung (V) des Schädigers ersetzt.
- Nach längerer Unklarheit über Grund und Höhe der Einstandspflicht verständigten sich V und die Klägerin, dass der Schaden „nach der modifizierten Nettolohntheorie abgerechnet“ wird. Demzufolge sollte zunächst der ausgefallene Nettoverdienst gezahlt und später die tatsächlich angefallene Einkommensteuer erstattet werden.
- In beiden Streitjahren leistete V einen Nettoersatz des Verdienstausfalls von jeweils 21.395,28 EUR. Über dessen einkommensteuerliche Behandlung als Einkünfte gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht kein Streit.
- Im Jahr 2017 erstattete V darüber hinaus die durch ein Gutachten ermittelte Steuerlast des für die Jahre 1997 bis 2015 gezahlten Verdienstausfalls (insgesamt 59.956,19 EUR), ebenso die Steuerlast des Jahres 2016 (6.160,40 EUR). Ferner zahlte V 4.600 EUR zur Abgeltung eines (fiktiven) 13. Monatsgehalts für die Jahre 1997 bis 2017. Im Streitjahr 2018 erstattete V die Steuerlast für die im Vorjahr gezahlten Entschädigungen (38.511,16 EUR).
- Das Finanzamt (FA) erfasste in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre auch die vorgenannten Zahlungen der V als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Einsprüche und Klagen waren erfolglos
Die hiergegen erhobenen Einsprüche waren erfolglos. Auch die Klagen wurden vom FG abgewiesen.
Revisionsbegründung der Kläger
Mit der Revision wurde geltend gemacht, das FG habe § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu weit ausgelegt. Die Erstattungen durch V ersetzten keine Einnahmen, sondern Ausgaben in Form eines Steuerschadens. Hilfsweise brachte die Klägerin für das Streitjahr 2017 vor, die den Zeitraum der Jahre 1997 bis 2015 abdeckende Erstattung der Steuerlast sowie die Zahlung eines fiktiven 13. Monatsgehalts für die Jahre 1997 bis 2017 seien nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern.
Entscheidung: BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen
Der BFH hält die Revision für unbegründet und hat sie daher zurückgewiesen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die der Klägerin in den Streitjahren 2017 und 2018 zugeflossenen Zahlungen der V steuerbar sind. Frei von Rechtsfehlern hat es auch eine tarifermäßigte Besteuerung für das Streitjahr 2017 abgelehnt.
Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen
Erfasst werden dem Wortlaut des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG folgend nur Entschädigungen, die Einnahmen ersetzen, nicht aber solche, die Ausgaben ausgleichen. Unschädlich ist es, wenn der Ersatz von dritter Seite, zum Beispiel von einer Versicherung des Schädigers geleistet wird, sofern der Dritte dem Geschädigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist. Die Entschädigung muss unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt und dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen.
Nettoverdienstausfall und Steuerlast Bestandteile eines einheitlichen Schadenersatzanspruchs
Ist der Schädiger oder dessen Versicherer dem Geschädigten zum Ersatz dessen Verdienstausfalls verpflichtet, erstreckt sich die Ersatzpflicht auch auf die hierauf entfallende Steuer. Dies hat steuerrechtlich zur Folge, dass nicht nur der gezahlte Ausfall des Nettoverdienstes, sondern ebenso die vom Schädiger erstattete Steuerlast als nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbare Entschädigung zu behandeln ist.
Die Ansicht der Kläger, der Verdienstausfallschaden und die hierauf lastende Steuer seien zivilrechtlich getrennt voneinander zu beurteilen, trifft nicht zu. Es handelt sich vielmehr um zwei unmittelbar miteinander im Zusammenhang stehende Positionen eines Verdienstausfallschadens im Sinne von §§ 842, 843 Abs. 1 BGB. Hierzu führen die Richter u.a. aus:
- Die Rechtspraxis hat für den Ersatz dieses Schadens abhängig Beschäftigter zwei Berechnungsmethoden entwickelt. Nach der Bruttolohnmethode ist Maßstab für die Schadensberechnung der entgangene Bruttoverdienst des Geschädigten; Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sind somit von vornherein enthalten.
- Nach der hier angewandten zweiten Methode, der (modifizierten) Nettolohnmethode, stellt der ersatzpflichtige Schaden das fiktive Nettoeinkommen des Geschädigten zuzüglich aller seiner aus dem Schadenereignis folgenden weiteren Nachteile einschließlich der auf die Schadenersatzleistung geschuldeten Steuer dar.
- An diese zivilrechtliche Ausgangslage anknüpfend ist die vom Schädiger erbrachte Erstattung der Steuerlast als Einnahmenersatz im Sinne von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu werten. Die Erstattung beruht unmittelbar auf dem Verlust steuerbarer Einnahmen.
Keine Tarifermäßigung
Die Zahlungen der V unterfallen nicht § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Hiernach kommen als außerordentliche Einkünfte zwar Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Voraussetzung für eine die Tarifermäßigung rechtfertigende Außerordentlichkeit ist aber grundsätzlich, dass die Entschädigung in Gänze in einem Veranlagungszeitraum erbracht wird und dass durch die Zusammenballung von Einkünften eine erhöhte steuerliche Belastung entsteht. Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehr verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt.
Die von V im Streitjahr 2017 bezogenen Zahlungen stellen nach der Entscheidung des BFH auch keine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar.
BFH, Urteil v. 15.10.2024, IX R 5/23; veröffentlicht am 9.1.2025
Alle am 9.1.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen