Hintergrund: Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung
Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG). Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG setzt das Vorliegen eines eigenen Hausstands das Innehaben einer Wohnung sowie eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung voraus.
Rechtsfrage
Erfordert das Innehaben einer Wohnung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG ein eigenes Recht im Sinne eines entgeltlichen Nutzungsrechts des Steuerpflichtigen, das ihm wie bei Eigentum oder einem Mietverhältnis ein zur Ausschließung berechtigendes Hausrecht gewährt, oder ist es ausreichend, dass dem Steuerpflichtigen ein (räumlich) abgrenzbarer Teil eines Wohnhauses unentgeltlich, unter Vereinbarung eines Ausschlusses der Nutzung der Überlassenden, zur Nutzung überlassen wird?
Sachverhalt: Kläger wohnte mietfrei bei den Eltern
- Der 1986 geborene, ledige Kläger studierte nach einer im Jahr 2007 erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung zeitlich verzögert an der Hochschule A einen Bachelorstudiengang. Anschließend führte er sein Studium an der Hochschule M als Masterstudiengang fort. Danach war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der M tätig und fertigte seine Doktorarbeit an. Er wohnte am jeweiligen Studienort in angemieteten Wohnungen bzw. Zimmern.
- Der Kläger erzielte in den Streitjahren (2014 bis 2018) aus der Tätigkeit als Werkstudent und als studentische Hilfskraft sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Zudem erhielt er in den Jahren 2014 bis 2017 Leistungen nach dem BAföG.
- Sein Lebensmittelpunkt lag in den Streitjahren (unstreitig) in B. Er bewohnte dort sämtliche Räumlichkeiten im Obergeschoss (OG) des Wohnhauses seiner Eltern. Im Erdgeschoss (EG) und im OG befinden sich – im Wesentlichen grundrissgleich – jeweils Diele, Küche, Bad/WC sowie 3 Wohnräume bzw. im OG nach Zusammenlegung 2 Wohnräume. Die Räumlichkeiten haben jeweils einen Eingang zum mittigen, offenen Treppenhaus.
- Die Eltern des Klägers nutzten die im EG belegenen Räumlichkeiten. Die Räumlichkeiten im OG bewohnten die Großeltern. Nach deren Auszug im Jahr 1990 bezogen der Kläger und sein jüngerer Bruder je ein Zimmer im OG. Etwa im Jahr 2010 zog der Bruder des Klägers aus. In der Folgezeit renovierte der Kläger die Räumlichkeiten im OG und bewohnte sie fortan allein. Die Räumlichkeiten überließen ihm seine Eltern unentgeltlich zur Nutzung.
- In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger u. a. notwendige Mehraufwendungen wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung sowie Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
- Das Finanzamt (FA) ließ zwar die Aufwendungen für die Familienheimfahrten erklärungsgemäß als „Lebensmittelpunktfahrten“ zum Werbungskostenabzug zu. Die geltend gemachten Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung und den erklärten Verpflegungsmehraufwand berücksichtigte es jedoch nicht.
FG weist Klage als unbegründet ab
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Die noch streitigen Mehraufwendungen seien dem – weitgehend wirtschaftlich nicht selbständigen – Kläger in den Streitjahren nicht wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstanden. Dieser habe zwar an seinem Lebensmittelpunkt in B im OG des elterlichen Hauses gewohnt, dort aber keinen eigenen Hausstand geführt. Vielmehr sei er (auch in den Streitjahren noch) in den dortigen Hausstand seiner Eltern, der auch die vom Kläger seit Kindheitstagen bewohnten Räumlichkeiten im OG umfasse, eingegliedert gewesen.
BFH hebt Urteil auf und verweist zurück
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das FG hat zu Unrecht das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung mit der Begründung verneint, der Kläger habe keinen eigenen Hausstand am Ort des Lebensmittelpunkts unterhalten, sondern sei vielmehr in den dortigen elterlichen Haushalt eingegliedert gewesen.
Aufwendungen für Zweitausbildung als vorweggenommene Werbungskosten
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine zweite Ausbildung (Berufsausbildung oder Studium) sind regelmäßig beruflich veranlasst. Dass die Aufwendungen zumindest für die eigene Zweitausbildung regelmäßig nicht auf unbeachtlichen privaten Motiven gründen, nimmt auch § 9 Abs. 6 EStG zum Ausgangspunkt. Demgemäß sind sämtliche beruflich veranlassten Aufwendungen, die im Rahmen einer Zweitausbildung anfallen, als (vorab entstandene) Werbungskosten abziehbar. Hierzu gehören nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Steuerpflichtigen in Zweitausbildung wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen.
Vorliegen eines eigenen Hausstands erforderlich
Das Vorliegen eines eigenen Hausstands setzt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG das Innehaben einer Wohnung voraus. Unter einer Wohnung in diesem Sinne sind alle den Lebensbedürfnissen des Steuerpflichtigen entsprechenden Räumlichkeiten zu verstehen. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist ein räumlicher Bereich, in dem der Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen verortet werden kann. Den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung müssen diese Räumlichkeiten jedoch nicht genügen.
Der Steuerpflichtige hat die Wohnung inne, wenn er sie aus eigenem Recht (z. B. als Eigentümer oder Mieter) nutzt. Allerdings kann auch ein abgeleitetes Recht i. S. einer geschützten Rechtsposition ausreichen. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn der Ehepartner, Lebensgefährte oder – wie vorliegend – ein sonstiger Familienangehöriger (hier: die Eltern des Klägers) Eigentümer oder Mieter der Wohnung ist und diese dem Steuerpflichtigen (unentgeltlich) zur Nutzung überlässt.
In der Wohnung, die der Steuerpflichtige außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte innehat, muss sich der Haushalt befinden, den er am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt.
Ob ein Steuerpflichtiger in einer Wohnung einen eigenen Hausstand führt, kann nur unter Berücksichtigung insbesondere der Einrichtung, der Ausstattung und der Größe eben dieser Wohnung entschieden werden. Wird der Haushalt in einer in sich abgeschlossenen Wohnung geführt, die auch nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet, wird regelmäßig vom Unterhalten eines eigenen Hausstands auszugehen sein.
Das Vorliegen eines eigenen Hausstands erfordert des Weiteren eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG). Bedeutung kommt diesem Tatbestandsmerkmal jedoch nur zu, soweit der Steuerpflichtige am Lebensmittelpunkt einem Mehrpersonenhaushalt (z. B. im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts) angehört. Dies folgt schon aus dem Tatbestandsmerkmal „Beteiligung“. Nur wenn mehrere Personen einen gemeinsamen Haushalt führen, kann sich der Einzelne an den Kosten dieses Haushalts und damit den Kosten der Lebensführung „beteiligen“.
Führt der Steuerpflichtige dagegen einen Ein-Personen-Haushalt, stellt sich die Frage nach der finanziellen Beteiligung an den Kosten dieses Haushalts (der Lebensführung) nicht. Denn die Kosten der Lebensführung eines Ein-Personen-Haushalts werden denknotwendig von dieser einen Person getragen. Woher die hierfür erforderlichen Mittel stammen – ob aus eigenen Einkünften, staatlichen Transferleistungen, Darlehen, Unterhaltsleistungen oder familiären Geldgeschenken – ist insoweit unerheblich. An der Finanzierung des eigenen Haushalts/der eigenen Lebensführung ändert die Herkunft der Mittel nichts.
FG verneinte fehlerhaft Vorliegen eines eigenen Hausstands
Das FG hat rechtsfehlerhaft entschieden, dass der Kläger am Ort seines Lebensmittelpunkts keinen eigenen Hausstand unterhalten hat.
- Vorliegend haben die Eltern dem Kläger sämtliche Räumlichkeiten im OG ihres Hauses zur Nutzung überlassen. Der Senat hat nach den Feststellungen des FG keine Zweifel, dass es sich dabei um eine Wohnung handelt, die dem Kläger nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet. Aufgrund dieser hinreichend geschützten Rechtsposition hat der Kläger die Wohnung im OG inne. Der Umstand, dass es sich hierbei um eine (bloße) Nutzungsüberlassung und nicht um ein Mietverhältnis handelt, steht dem – anders als das FG meint – nicht entgegen. Ob die vom Kläger bewohnte Wohnung im OG gegenüber der von den Eltern bewohnten Wohnung im EG baulich abgeschlossen ist, ist für das Vorliegen eines eigenen Hausstands ebenfalls unerheblich.
- Soweit das FG davon ausgegangen ist, der Kläger habe die Wohnung im OG deshalb nicht innegehabt, weil sich der Haushalt der Eltern in den Streitjahren auf das gesamte Wohnhaus erstreckt habe und der Kläger in den elterlichen Gesamthaushalt eingegliedert gewesen sei, wird diese Würdigung von den Feststellungen der Vorinstanz nicht getragen. Vielmehr hat das FG für den Senat bindend festgestellt, dass die Wohnung im OG nur vom Kläger bewohnt wurde, während die Eltern ausschließlich die Räume im EG nutzten.
Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache geboten
Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache wegen fehlender Spruchreife zurückzuverweisen. Denn das FG hat – von seinem Standpunkt aus zu Recht – bisher nicht geprüft, in welcher Höhe dem Kläger in den Streitjahren Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen entstanden und als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Feststellungen hat es im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Hinweis: Prüfungsreihenfolge beachten
Im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung ist stets zunächst die Wohnsituation des Steuerpflichtigen am Ort des Lebensmittelpunkts zu bestimmen. Dabei gilt Folgendes: Wird der Haushalt in einer in sich (abgeschlossenen) Wohnung geführt, die auch nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet, wird regelmäßig vom Unterhalten eines eigenen Hausstands auszugehen sein. Erst wenn der zutreffende Haushalt belastbar gefunden ist, ist der Frage nach der Beteiligung an den Kosten der Lebensführung nachzugehen und das auch nur dann, wenn der Steuerpflichtige am Ort des Lebensmittelpunkt keinen Ein-Personen-Haushalt führt.
BFH, rteil v. 29.4.2025, VI R 12/23, veröffentlicht am 31.7.2025
Alle am 31.7.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen