Einen ausgesprochen speziellen Fall hatte der BFH zur Ermittlung des Dotationskapitals einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte zu entscheiden. Es ging um die Berichtung von Einkünften nach Maßgabe von § 1 AStG. Der BFH hat sich dabei nicht der Berechnungsweise der Finanzverwaltung angeschlossen und der Klägerin eine günstigere Ermittlungsweise zugebilligt.

Grundsätzliches

Für inländische Versicherungsbetriebsstätten ist neben der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode auch die Mindestkapitalausstattungsmethode für die Zuordnung von Dotationskapital von Bedeutung, da sie die Untergrenze für die rechnerische Ausstattung mit Dotationskapital festlegt.

Die i.R.d. § 1 Abs. 5 S. 3 AStG vorzunehmende Funktions- und Risikoanalyse, mit der die Gestalt und die Funktion der Betriebsstätte als fiktiv eigenständiges und unabhängiges Unternehmen bestimmt werden sollen, bietet die Grundlage für die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen der inländischen Betriebsstätte und dem ausländischen Unternehmen.

Für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätte nach § 1 Abs. 5 AStG gilt die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (kurz: BsGAV). v. 13.10.2014, BGBl I 2014, 1603, BStBl I 2014, 1378).

Offene Frage

Es stellte sich die Frage, wie bei einem Versicherungsunternehmen die Gewinnaufteilung nach § 1 Abs. 5 AStG und der BsGAV vorzunehmen ist.

Sachverhalt

Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt verhielt sich wie folgt:

  • Die Klägerin, eine in X (EU-Ausland) ansässige Aktiengesellschaft mit einer inländischen Zweigniederlassung, betreibt das Rückversicherungsgeschäft sowohl im Lebens- als auch im Nichtlebensbereich.
  • Die für die inländische Versicherungsbetriebsstätte eingereichte Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2015 (Streitjahr) wies das Dotationskapital mit ./. … € und indirekt zuzuordnende Kapitalerträge von … € aus.
  • Die Berechnung erfolgte nach der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode (§ 25 Abs. 1 und 2 BsGaV), wobei die Kapitalerträge nach § 27 Abs. 2 BsGaV zugeordnet wurden.
  • Die Klägerin wies gegenüber dem Finanzamt ausdrücklich darauf hin, dass ihre Berechnungsweise den dazu von der Finanzverwaltung aufgestellten Grundsätzen (siehe BMF-Schreiben v. 22.12.2016, BStBl I 2017, 182, Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung ‑‑VwG BsGa‑‑, dort Rz 320) widerspreche.

Nach einer Außenprüfung vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode nicht zur Anwendung kommen dürfe, da sie zu einem negativen Dotationskapital führe. Anzuwenden sei die Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten nach § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV.

Dazu errechnete der Prüfer das fiktive aufsichtsrechtliche Mindestkapital nach den Vorschriften der sog. Kapitalausstattungs-Verordnung mit … € zum 31.01.2015 und … € zum 31.01.2016.

In Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem von der Klägerin erklärten und dem vom Prüfer ermittelten Dotationskapital rechnete der Prüfer der Klägerin zudem Vermögenswerte zur Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals indirekt zu (§ 25 Abs. 4 BsGaV).

Die zusätzlich zuzurechnenden Erträge aus den Kapitalanlagen ermittelte er, indem er auf die gesamten indirekt zuzurechnenden Kapitalanlagen von … € (§ 27 Abs. 2 BsGaV) die Durchschnittsverzinsung im Gesamtunternehmen von 3,563 % ansetzte.

Daraus ergaben sich gegenüber den von der Klägerin erklärten Erträgen (… €) zusätzliche Erträge in Höhe von … €.

Entscheidung des FG München: Berechnung der Finanzverwaltung rechtens

Die Klage vor dem FG München bleibt erfolglos (FG München, Urteil v. 13.12.2021, 7 K 237920, EFG 2022, 550).

Entscheidung des BFH: Berechnungsweise der Finanzverwaltung wurde verworfen

Der BFH hielt die Revision für begründet, hob die Entscheidung des FG München aus und gab der Klage statt.

Entgegen der Auffassung des FG München sei das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte der Klägerin durch die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV – ohne eine Untergrenze durch die Maßgaben der Mindestkapitalausstattungsmethode nach § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV – zu ermitteln; dabei sind die Abrechnungsforderungen aus dem Rückversicherungsgeschäft einzubeziehen und es ist aufgrund einer erheblichen unterjährigen Veränderung der Zuordnung von Vermögenswerten eine Anpassung nach § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV in der von der Klägerin begehrten Höhe vorzunehmen.

§ 25 Abs. 3 Satz 2 BsGAV ist nur im Rahmen der „Öffnungsklausel“ nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV anwendbar und gilt nicht für die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für inländische Versicherungsbetriebsstätten nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV. Der BFH wandte damit nicht die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung an (Rz. 320 des BMF v. 22.12.2016, BStBl I 2017, 182 [Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung]).

§ 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV lässt sich kein allgemeiner Grundsatz entnehmen, wonach das Mindesteigenkapital, das ein selbständiges Versicherungsunternehmen in der Situation der Versicherungsbetriebsstätte im Inland versicherungsaufsichtsrechtlich ausweisen muss, durch die inländische Versicherungsbetriebsstätte nicht unterschritten werden darf.

Werden Abrechnungsforderungen nach aufsichtsrechtlichen Vorschriften als bedeckungsfähige Vermögenswerte behandelt, können sie nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BsGaV in die Aufteilung für steuerliche Zwecke mit einbezogen werden.

Von einer „erheblichen Veränderung“ im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV ist jedenfalls dann auszugehen, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres um 29,75 % von demjenigen zu Beginn des Wirtschaftsjahres abweicht (entgegen Rz. 322 des BMF v. 22.12.2016, BStBl I 2017, 182).

Praxishinweis

Die BFH-Entscheidung dürfte eine Anpassung der bisherigen Verwaltungsanweisung nötig machen.



BFH, Urteil v. 5.6.2024, I R 3/22
; veröffentlicht am 26.9.2024

Alle am 26.9.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen