Die Selbstkosten i. S. d. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG umfassen nicht nur die unmittelbaren Herstellungskosten oder Erzeugungskosten, sondern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder nicht.
Hintergrund: Gesetzliche Vorgaben
- Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG, der auf Art. 16 MwStSystRL beruht, werden einer Lieferung gegen Entgelt u. a. gleichgestellt die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands. Voraussetzung ist, dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG).
- Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen i. S. d. § 3 Abs. 1b UStG nach dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten für den Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises nach den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes, bemessen. Unionsrechtlich beruht § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG auf Art. 74 MwStSystRL.
Sachverhalt: Klägerin erzeugt dezentral Strom und Wärme
Die Klägerin betreibt ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zur dezentralen Strom- und Wärmeproduktion, das mit aus Biomasse selbst erzeugtem Biogas betrieben wird.
- Der vom BHKW produzierte Strom wurde überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und von dem Stromnetzbetreiber vergütet. Die vom BHKW erzeugte Wärme diente zu einem Teil dem Produktionsprozess.
- Den überwiegenden Teil der Wärme überließ die Klägerin im Streitjahr 2008 auf vertraglicher Basis dem Unternehmer A „kostenlos“ zur Trocknung von Holz in Containern und der B GbR (B), die mit der Wärme ihre Spargelfelder beheizte. In den Verträgen ist geregelt, dass die Höhe der Vergütung je nach wirtschaftlicher Lage des Wärmeabnehmers individuell vereinbart und in den Verträgen nicht festgelegt werde.
- Im Streitjahr unterwarf die Klägerin die für die Lieferung von Strom vom Stromnetzbetreiber erhaltenen Entgelte sowie einen KWK-Bonus der Umsatzsteuer.
- Da die Klägerin den Wärmeabnehmern kein Entgelt in Rechnung stellte, ging der Prüfer im Rahmen einer Außenprüfung von einer unentgeltlichen Zuwendung der Wärme i. S. v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an A und B aus.
- Mangels eines Einkaufspreises für Wärme berechnete er die Bemessungsgrundlage für diese Entnahme nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten. Von den in der Gewinn- und Verlustrechnung aufgeführten Gesamtkosten entfielen nach der Berechnung des Prüfers auf die abgegebene Wärme 34,84 %, so dass er insoweit Umsatzsteuer i. H. v. 73.110,29 EUR ansetzte.
Das FA folgte dem Ergebnis der Prüfung. Den gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2018 eingelegten Einspruch wies es mit durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück.
FG gibt Klage teilweise statt
Im zweiten Rechtsgang wandte sich die Klägerin u. a. im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage für die Wärmelieferungen gegen die Berechnung des FA.
Das FG gab der Klage teilweise statt. Die Umsatzsteuer für die unentgeltlichen Wertabgaben bemesse sich nach den Selbstkosten, die nach der sog. Marktwertmethode und nicht – wie vom FA aus Vereinfachungsgründen angenommen – nach dem bundeseinheitlichen durchschnittlichen Fernwärmepreis zu berechnen seien. Es sei auf die Marktwerte für Strom und Wärme am konkreten Ort der Klägerin abzustellen.
Gegen das finanzgerichtliche Urteil haben sowohl die Klägerin als auch das FA Revision eingelegt.
Entscheidung: BFH weist Revisionen als unbegründet zurück
Der BFH entscheidet, dass die Revisionen des FA und der Klägerin unbegründet und daher jeweils zurückzuweisen sind. Dies hat der BFH im Einzelnen wie folgt entschieden:
Die Wärmeabgabe an A und B ist als unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands i. S. d. auf Art. 16 MwStSystRL beruhenden § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zu berücksichtigen. Wird Wärme unentgeltlich an andere Unternehmer für deren Unternehmen (wirtschaftliche Tätigkeit) abgegeben, handelt es sich nach Auffassung des EuGH um eine unentgeltliche Zuwendung i. S. dieser Vorschriften beziehungsweise Bestimmungen.
Bemessungsgrundlage der Entnahmebesteuerung
Als Bemessungsgrundlage dieser Umsätze sind die Selbstkosten anzusetzen, da kein Einkaufspreis existiert. Sowohl der EuGH als auch der BFH setzen auch bei selbst hergestellten Wirtschaftsgütern den Einkaufspreis, ggf. einen fiktiven Einkaufspreis an, sofern ein solcher am Markt zu ermitteln ist. Die Selbstkosten sind daher nur dann als Bemessungsgrundlage anzusetzen, wenn ein Einkaufspreis für den entnommenen oder für einen gleichartigen Gegenstand am Markt nicht zu ermitteln ist.
Im Streitfall ist die Entscheidung des FG, dass kein Einkaufspreis am Markt für einen gleichartigen Gegenstand ermittelt werden könne, weil die Klägerin nicht an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn von einem Fernwärmeversorger produzierte und angebotene Fernwärme kann nur dann als „gleichartiger Gegenstand“ angesehen werden, wenn sie für den jeweiligen Verbraucher (hier: die Klägerin) zum Zeitpunkt des Umsatzes grundsätzlich ebenso erreichbar und einsetzbar ist wie die selbst erzeugte Wärme.
Eine Anbindung an ein Fernwärmenetz ist Voraussetzung für den Ansatz eines (fiktiven) Einkaufspreises. Existiert kein (fiktiver) Einkaufspreis, sind Bemessungsgrundlage für die unentgeltlichen Wärmeumsätze die darauf entfallenden Selbstkosten für die Errichtung und den Betrieb des BHKW.
Aufteilung der Selbstkosten auf Strom und Wärme
Die Aufteilung der Selbstkosten auf Strom und Wärme ist nach der Marktwertmethode vorzunehmen.
§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG enthält keine ausdrückliche Aufteilungsregelung für Selbstkosten, die gleichermaßen für die entgeltliche Lieferung (von Strom) und die unentgeltliche Zuwendung (von Wärme) anfallen. Für die gleichwohl erforderliche Aufteilung kann der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 UStG heranzuziehen sein.
Dies hat die Rechtsprechung dahingehend weiter präzisiert, dass sie die von der Finanzverwaltung angewendete, ausschließlich energetische Methode als nicht sachgerecht verworfen hat und stattdessen eine zweistufige, ausschließlich umsatzbezogene Schätzung (ohne Berücksichtigung der nicht genutzten Wärme) als sachgerecht angesehen hat (vgl. BFH, Urteile v. 15.3.2022, V R 34/20 und v. 9.11.2022, XI R 31/19). Daran hält der Senat weiter fest.
Auf der Grundlage dieser Schätzungsmethode war die Schätzung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG ist von der zutreffenden Schätzungsmethode des BFH ausgegangen. Im Rahmen der Berechnung hat es Verkaufspreise von zwei Anbietern von Fernwärme in der Nähe der Anlage der Klägerin (Stadtwerke X und Stadtwerke Y) herangezogen. Diese Schätzung hält den Angriffen der beiden Revisionen stand.
Berechnung der Selbstkosten
Die Berechnung der Selbstkosten begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Das FG hat als Selbstkosten auch nicht unmittelbar mit der Herstellung oder Erzeugung zusammenhängende Kosten berücksichtigt, die nicht mit Vorsteuer belastet sind (z. B. Finanzierungskosten). Dies hat der EuGH als unionsrechtlich zutreffend bestätigt (vgl. EuGH, Urteil v. 25.4.2024, C-207/23).
BFH, Urteil v. 4.9.2024, XI R 15/24 (XI R 17/20); veröffentlicht am 7.11.2024
Alle am 7.17.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen