Vorlagefragen des BFH
1. Gilt die Vorschrift für die Erhebung der Schenkungsteuer?
2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Schließt es die Vorschrift aus, dass ein Beamter oder sonstiger Bediensteter der Union, der sich lediglich zur Ausübung der Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Herkunftsmitgliedstaats niedergelassen hat, einen weiteren steuerlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet, wenn er einen tatsächlichen Wohnsitz im Tätigkeitsstaat beibehält?
Einordnung: Ziel der EuGH-Vorlage
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (Amtsblatt der Europäischen Union 2012, Nr. C 326, 266) zur Vorabentscheidung werden die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union, die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats niederlassen, für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie für die Anwendung von DBA so behandelt, als hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten, sofern sich dieser in einem Mitgliedstaat der Union befindet.
Ziel der EuGH-Vorlage ist die Beantwortung der Frage, ob Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls für die Schenkungsteuer gilt. Die Vorlagefrage 2 ist nur dann entscheidungserheblich, wenn die Vorlagefrage 1 so zu beantworten ist.
Sachverhalt: Erhalt einer Geldzuwendung
Der EuGH-Vorlage liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
- Der Kläger ist österreichischer Staatsbürger und seit 1995 Bediensteter der Europäischen Investitionsbank (EIB) mit Sitz in Luxemburg. Vor seinem Dienstantritt lebte er in Österreich.
- Von dort war er noch 1995 nach Luxemburg umgezogen, um seine Tätigkeit bei der EIB aufzunehmen. In Luxemburg zog der Kläger mehrmals um.
- Nach der Eheschließung mit einer EIB-Bediensteten im Jahr 2010 gründete er einen gemeinsamen Hausstand mit seiner Ehefrau in deren Haus in K in Deutschland. Seine Wohnung in Luxemburg nutzte er weiter.
- Am 27.12.2013 erhielt der Kläger von seinem in Österreich wohnenden Bruder eine unentgeltliche Geldzuwendung in Höhe von 300.000 EUR.
- Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 13.4.2017 Schenkungsteuer in Höhe von 56.000 EUR gegen den Kläger fest.
Der Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, er sei nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union so zu behandeln, als habe er seinen Wohnsitz (nur) in Österreich, hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 1.8.2019 ging das FA davon aus, der Kläger habe in K einen zusätzlichen Wohnsitz begründet und sei daher in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig gewesen. Der steuerliche Wohnsitz in Deutschland bestehe neben dem fiktiven Wohnsitz in Österreich nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls.
Der Klage gab das FG Rheinland-Pfalz (Urteil v. 16.9.2021, 4 K 1762/19) statt. Es nahm an, bei der Prüfung des Motivs für die Wohnsitzbegründung nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls („lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Union“) sei auf den Zeitpunkt des Dienstantritts abzustellen. Spätere Änderungen der Motivation, insbesondere ein Umzug aus privaten Gründen, seien unbeachtlich, solange der Bedienstete bei der Union beschäftigt bleibe und der tatsächliche Wohnsitz einen räumlichen Bezug zur Tätigkeitsstätte aufweise.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls. Es vertritt die Auffassung, die Vorschrift gelte nicht für die Schenkungsteuer.
Entscheidung: Aussetzung des Revisionsverfahrens
Der BFH hat das bei ihm anhängige Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH die genannten Fragen zur Auslegung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Hinweise des BFH zur Vorlagefrage 1
Zu klären ist zunächst, ob Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls für die Schenkungsteuer gilt. Gemäß ihrem Wortlaut findet die Vorschrift auf „die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie die zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten der Union geschlossenen Abkommen“ Anwendung. Die Schenkungsteuer wird ausdrücklich nicht genannt. Die Unterschiede zwischen der Schenkungsteuer und der Einkommensteuer, der Vermögensteuer sowie der Erbschaftsteuer sprechen aus der Sicht des vorlegenden Senats gegen eine Einbeziehung der Schenkungsteuer in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls. Dennoch bestehen aus Sicht des vorlegenden Senats Zweifel, ob die Schenkungsteuer vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen ist. Die Schenkungsteuer könnte mit dem in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls verwendeten Begriff der „Einkommensteuer“ gleichzusetzen sein. Die Schenkungsteuer lässt sich ebenso wie die Erbschaftsteuer als Einkommensteuer im weiteren Sinne beschreiben
Hinweise des BFH zur Vorlagefrage 2
Die Vorlagefrage 2 ist nur dann entscheidungserheblich, wenn die Vorlagefrage 1 so zu beantworten ist, dass Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls auf die Schenkungsteuer Anwendung findet. Fraglich ist dann, ob die Vorschrift so auszulegen ist, dass neben dem nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls weiterhin bestehenden steuerlichen Wohnsitz im Herkunftsmitgliedstaat kein weiterer steuerlicher Wohnsitz entstehen kann, wenn der Beamte oder sonstige Bedienstete der Union im Verlauf seines Dienstverhältnisses zusätzlich zu seinem tatsächlichen Wohnsitz im Tätigkeitsstaat einen tatsächlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet.
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls ist der Herkunftsmitgliedstaat, in dem der steuerliche Wohnsitz des Beamten oder sonstigen Bediensteten bestehen bleibt, grundsätzlich weiterhin für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer zuständig, auch wenn der Beamte oder sonstige Bedienstete dort nicht seinen tatsächlichen Wohnsitz hat.
Nach diesen Maßstäben versteht der vorlegende Senat die Regelung in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls so, dass neben dem steuerlichen Wohnsitz im Herkunftsmitgliedstaat kein weiterer steuerlicher Wohnsitz entstehen kann, wenn der Beamte zusätzlich zu seinem Wohnsitz am Dienstort einen tatsächlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet. Für die Aufteilung der steuerlichen Befugnisse zur Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer ist nach Ansicht des Senats auf den Zeitpunkt des Dienstantritts bei der Union abzustellen.
Konsequenzen
Sollten die Vorlagefrage 1 und die Vorlagefrage 2 zu bejahen sein, wäre die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen. Wäre die Vorlagefrage 1 oder die Vorlagefrage 2 zu verneinen, wäre die Revision des FA begründet und die Vorentscheidung aufzuheben sowie die Klage abzuweisen. Geht der EuGH davon aus, dass der Kläger aufgrund der zur Prüfung vorgelegten Vorschrift seinen Wohnsitz weiterhin in Österreich hat, unterläge die Schenkung in Deutschland nicht der Schenkungsteuer.
BFH, Beschluss v. 20.11.2024, II R 38/21, veröffentlicht am 10.4.2025
Alle am 10.4.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen