Die unbefristete Optionserklärung nach § 13a Abs. 8 ErbStG i. d. F. von 2013 ist im Einspruchsverfahren zu berücksichtigen, soweit ihre steuerrechtlichen Auswirkungen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO gesetzten Rahmen hinausgehen. Die Bindungswirkung der Vorschrift hat nicht zur Folge, dass die Verschonung insgesamt zu versagen ist, wenn sie den Änderungsrahmen verlässt.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

  • Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG (i. d. F. für das Jahr 2013) bleibt vorbehaltlich des § 13b Abs. 2 ErbStG unter verschiedenen Voraussetzungen u. a. der Erwerb eines Anteils an einer Gesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG zu 85 % außer Ansatz (Verschonungsabschlag).
  • Nach § 13a Abs. 8 ErbStG kann der Erwerber unwiderruflich erklären, dass die Steuerbefreiung nach den Absätzen 1 bis 7 i. V. m. § 13b ErbStG nach Maßgabe der Bestimmungen in den nachfolgenden Ziffern gewährt wird. Dann tritt nach § 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG an die Stelle des Prozentsatzes für die Begünstigung von 85 % in § 13b Abs. 4 ErbStG ein Prozentsatz von 100 % (Vollverschonung).
  • Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, können nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt (§ 351 AO).

Streitpunkte

Kann ein Antrag auf die sog. Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG in der am 21.3.2013 geltenden Fassung unter Berücksichtigung der zuvor eingetretenen partiellen Bestandskraft noch wirksam gestellt werden?

Sachverhalt: Antrag auf Optionsverschonung nach Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:

  • Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 21.3.2013 übertrug der Vater des Klägers seine GmbH-Anteile und seine Beteiligungen an drei KGs einschließlich der zu seinem Sonderbetriebsvermögen (SBV) gehörenden Anteile an den Komplementär-GmbHs auf den Kläger.
  • Mit Bescheid vom 20.4.2016 setzte das Finanzamt (FA) gegen den Kläger Schenkungsteuer fest. Dabei berücksichtigte das FA die Regelverschonung nach den §§ 13a, 13b ErbStG in der am 21.3.2013 geltenden Fassung. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des BVerfG v. 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BStBl 2015 II S. 50, angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung der Verschonung von Betriebsvermögen vorläufig. Einen Vorbehalt der Nachprüfung enthielt er nicht. Ein Einspruch gegen den Bescheid wurde vom Kläger nicht eingelegt.
  • Nachdem am 21.12.2018 die durch die zuständige Stelle festgestellten Werte der jeweiligen drei KG-Beteiligungen, einschließlich deren Verwaltungsvermögen, Zahl der Beschäftigten und der Summe der Ausgangslöhne dem FA mitgeteilt worden waren, ermittelte das FA auf der Basis dieser Feststellungen den Erwerb neu und erhöhte die Schenkungsteuer durch einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid vom 13.11.2019.
  • Mit dem dagegen eingelegten Einspruch gab der Kläger die Erklärung zur optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG ab. Das FA wies den Einspruch mit Entscheidung vom 9.9.2020 als unbegründet zurück.
  • Das FG hat den Schenkungsteuerbescheid vom 13.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.9.2020 dahingehend geändert, dass die Steuer – wie im formell bestandskräftigen Ausgangsbescheid vom 20.4.2016 – festgesetzt wurde, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat die Vollverschonung in dem Umfang gewährt, in welchem die Steuer durch den auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid erhöht worden war.

FA macht im Revisionsverfahren Verletzung des § 351 AO geltend

Mit der Revision macht das FA die Verletzung des § 351 Abs. 1 AO geltend. Mit der Gewährung der Vollverschonung habe das FG die in dieser Norm angeordnete Bindungswirkung missachtet, denn die steuerlichen Folgen der Erklärung zur optionalen Vollverschonung gingen über den durch die Bescheidänderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gesetzten Änderungsrahmen hinaus.

Entscheidung: Optionsverschonung grundsätzlich möglich

Der BFH urteilt, dass das FG zu Recht entschieden hat, dass die Vollverschonung für die Schenkungsteuer auf Antrag des Klägers in dem Umfang zu gewähren ist, in dem die Steuer in dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 13.11.2019 heraufgesetzt wurde.

Keine Frist für Antrag auf Optionsverschonung

Die Erklärung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen nach § 13a Abs. 8 ErbStG entspricht einem Antragsrecht. Eine gesetzliche Frist für ihre Abgabe besteht nicht; die Optionserklärung kann unbefristet abgegeben werden. Die Möglichkeit, aufgrund der Erklärung eine Herabsetzung der Schenkungsteuer zu erreichen, wird aber durch das allgemeine verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft und die Regelung des § 351 Abs. 1 AO begrenzt.

Änderung nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO gesetzten Rahmen

Wird eine Optionserklärung nach § 13a Abs. 8 ErbStG – wie im vorliegenden Fall – nicht bis zur Bestandskraft der erstmaligen Schenkungsteuerfestsetzung erklärt, ist sie bei einer Änderung der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen, soweit ihre steuerrechtlichen Auswirkungen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO gesetzten Rahmen hinausgehen.

Die Bindungswirkung nach § 351 Abs. 1 AO hat nicht zur Folge, dass die Verschonung, wenn sie den Änderungsrahmen verlässt, insgesamt zu versagen ist; es gilt insoweit kein „Alles-oder-nichts-Prinzip“. § 351 AO normiert nur eine quantitative, aber keine qualitative Änderungssperre. Gegen die Gewährung der Verschonung im Umfang der Änderung spricht deshalb nicht, dass das Antragsrecht des § 13a Abs. 8 ErbStG nicht partiell ausgeübt werden kann. Es wird nicht der Antrag auf Vollverschonung teilweise gestellt, sondern es werden die steuerrechtlichen Auswirkungen der Antragstellung begrenzt.

Der Berücksichtigung einer Optionserklärung im Rahmen des § 351 AO kann – entgegen dem FA – auch nicht entgegengehalten werden, dass die ursprüngliche Steuerfestsetzung keinen materiellen Fehler aufweist, der zu berichtigen wäre. Ein materieller Fehler liegt auch dann vor, wenn erst die nachträgliche, aber gleichwohl zulässige Antragstellung oder Ausübung eines Wahlrechts zu einer materiell unrichtigen Besteuerung führt.

Hinweis: Kein Widerspruch zu den BFH-Urteilen v. 9.12.2015 und v. 20.4.2023

Die BFH-Urteile v. 9.12.2015, X R 56/13 und v. 20.4.2023, III R 25/22 enthalten keine hiervon abweichenden Grundsätze. Sie sind jeweils zur Rücknahme eines Antrags auf ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG ergangen, mit der das Ziel verfolgt wurde, die Ermäßigung in einem anderen Veranlagungszeitraum zu nutzen. Um die Ermäßigung rückgängig zu machen, hätte aber der Änderungsrahmen des § 351 Abs. 1 AO für die daraus folgende Erhöhung der Steuerfestsetzung überschritten werden müssen. Dies hat der BFH abgelehnt. Im Gegensatz dazu geht es im hier zu entscheidenden Streitfall um eine Herabsetzung der Steuerfestsetzung innerhalb des Änderungsrahmens des § 351 Abs. 1 AO.



BFH, Urteil v. 11.12.2024, II R 44/21
; veröffentlicht am 2.5.2025

Alle am 2.5.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen