Hintergrund: VGA durch unentgeltliche Wohnungsüberlassung
Der BFH hatte im Urteilsfall u.a. zu klären, ob eine vGA aufgrund der unentgeltlichen Überlassung eines behindertengerecht umgebauten Hauses zugleich als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein kann, soweit diese einen behinderungsbedingten Mehrbedarf abdeckt. Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:
- Die Kläger sind verheiratet und werden in den Streitjahren (2011 bis 2014) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Ihr gemeinsamer Sohn M leidet seit seiner Geburt an einer spinalen Muskelatrophie und ist auf einen Rollstuhl angewiesen.
- Der Kläger ist u.a. Geschäftsführer einer GmbH und am Stammkapital der Gesellschaft zu 94% beteiligt. Im Eigentum der GmbH steht das Grundstück A-Straße, das ursprünglich mit zwei freistehenden Häusern bebaut war („Haus 1 und Haus 2“). 1998 vermietete die GmbH „Haus 1“ an den Kläger.
- Im Jahr 2009 ließ die GmbH auf eigene Kosten einen barrierefreien Verbindungsbau erstellen, in dem ein behindertengerechtes Pflegebad mit Dusche, Badewanne, Waschbecken und Toilette eingebaut wurde. Die Baukosten betrugen insgesamt 297.511,17 EUR und entfielen auf die Errichtung des Verbindungsbaus, die dafür erforderlichen Veränderungen an den beiden bereits bestehenden Wohnhäusern und den Carport. Im Erdgeschoss des Hauses 2 befand sich nun auch der Schlafbereich des Sohnes.
- Im September 2009 änderten der Kläger und die GmbH den Mietvertrag „aufgrund des behindertengerechten Umbaus“ mit Wirkung ab dem 1.10.2009 dahingehend ab, dass die monatliche Miete inklusive Nebenkosten auf 2.250 EUR erhöht wurde.
- In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärten die Kläger unter anderem im Zusammenhang mit der Behinderung ihres Sohnes außergewöhnliche Belastungen in Form einer „Mehrmiete“ infolge des behindertengerechten Umbaus in Höhe von insgesamt jeweils 14.498 EUR (= 1.208,16 EUR * 12).
- Das Finanzamt (FA) lehnte eine Berücksichtigung zunächst jeweils ab. Im Einspruchsverfahren erkannte es eine behinderungsbedingte Mehrmiete in Höhe von jeweils 7.128 EUR für die Streitjahre an.
- Aufgrund von Kontrollmitteilungen über vGA der GmbH an den Kläger (für die unentgeltliche Überlassung des Haus 2) erhöhte das FA zudem zuletzt dessen Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Streitjahre 2012 bis 2014 um jeweils 7.000 EUR. Im Übrigen wies es die Einsprüche der Kläger als unbegründet zurück.
Mit der im Anschluss erhobenen Klage begehrten die Kläger für das Streitjahr 2011 die Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen in Höhe von 7.370 EUR (behinderungsbedingte Mehrmiete). Für die Streitjahre 2012 bis 2014 begehrten sie u.a. zusätzliche außergewöhnliche Belastungen in Höhe von jeweils 14.370 EUR (behinderungsbedingte Mehrmiete und fiktive Aufwendungen in Höhe der vGA). Nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten gab das Finanzgericht (FG) der Klage (nur) teilweise statt. Mit ihrer Revision begehrten die Kläger weiterhin die Berücksichtigung der genannten Kosten (u.a. der fiktiven Aufwendungen in Höhe der vGA als außergewöhnliche Belastungen).
Entscheidung: VGA als (fiktive) Aufwendungen abziehbar
Die Revision der Kläger wegen Einkommensteuer 2011 ist teilweise begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur teilweisen Stattgabe der Klage. Die Revision wegen Einkommensteuer 2012 bis 2014 ist begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
- In Bezug auf den Verbindungsbau zwischen den Häusern 1 und 2 kommt eine Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen nur in geringem Umfang in Betracht.
- Die Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen hinsichtlich des von M im Haus 2 genutzten Schlafbereichs hat das FG zu Unrecht abgelehnt. Die Feststellungen der Vorinstanz reichen insoweit jedoch nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, in welcher Höhe den Klägern in den Streitjahren 2012 bis 2014 hierdurch behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstanden sind. Die Sache muss deshalb insoweit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
Barrierefreier Verbindungsbau: Aufwendungen (nur) in angemessener Höhe abzugsfähig
Aufwendungen, die auf den persönlichen Wohnvorstellungen beruhen, sind auch dann nicht zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige oder ein in seinem Haushalt lebender Angehöriger infolge einer Krankheit oder eines Unfalls in seiner bisherigen Wohnung beziehungsweise in seinem bisherigen Haus nicht wohnen bleiben kann. Eine Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen kommt in Bezug auf den Verbindungsbau daher nur teilweise in Betracht.
Das FG ist insoweit im Ausgangspunkt zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die behinderungsbedingte Mehrmiete nicht auf Grundlage der von der GmbH für den Verbindungsbau tatsächlich aufgewandten Baukosten, sondern basierend auf den insoweit bei einer konventionellen (Standard-)Bauweise anfallenden Baukosten zu ermitteln ist. Es hat zu Recht entschieden, dass die Aufwendungen für die behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds nicht nach dem freien Ermessen der Kläger, sondern vorliegend der Höhe nach begrenzt nur auf den Mehraufwand abzugsfähig sind, der bei Erstellung des Verbindungsbaus in konventioneller Bauweise angefallen wäre.
Kostenrahmen für die Herstellung in konventioneller Bauweise
Das Finanzgericht ist im Urteilsfall jedoch zu Unrecht von einem Mittelwert i.H.v. vorliegend 148.500 EUR ausgegangen. Ist der angemessene Betrag der behinderungsbedingten Mehraufwendungen im Einzelfall zu schätzen, ist auch zu berücksichtigen, dass regelmäßig nicht nur ein bestimmter Mehraufwand als angemessen angesehen werden kann, sondern der Bereich des Angemessenen sich auf eine gewisse Bandbreite von Beträgen erstreckt. Nicht mehr allein zwangsläufig infolge der durch Krankheit oder Behinderung notwendig gewordenen Umgestaltung des privaten Wohnumfelds und damit nicht mehr angemessen sind dann nur diejenigen Beträge, die den oberen Rand dieser Bandbreite übersteigen.
Bei einem geschätzten Kostenrahmen für die Herstellung in konventioneller Bauweise von bis zu 154.000 EUR inklusive Nebenkosten und Umsatzsteuer ist unter Heranziehung der vom Kläger und der GmbH ermittelten Mieterhöhung durch Verzinsung der Baukosten mit 4,8% danach von (angemessenen) behinderungsbedingten Mehraufwendungen in Höhe von jährlich 7.392 EUR auszugehen. Der vom FA für die Streitjahre bereits berücksichtigte Betrag von jährlich 7.128 EUR ist folglich jeweils um 264 EUR zu erhöhen, was für die Streitjahre 2012 bis 2014 vom FG im zweiten Rechtsgang zu beachten ist.
Schlafbereich im Haus 2: VGA als ersparten Aufwendungen abzugsfähig
Das FG ist unzutreffend davon ausgegangen, dass – bezogen auf die behinderungsbedingte Nutzung des Hauses 2 (Schlafbereich des M) – ein anteiliger (fiktiver) Abzug der vGA als außergewöhnliche Belastung nicht in Betracht kommt.
Im Fall von vGA in Form von ersparten Aufwendungen geht die Rechtsprechung davon aus, dass die vGA aus Gleichheitsgesichtspunkten so zu behandeln ist wie eine offene Ausschüttung und ein hinzutretender Leistungsaustausch, wie er unter Dritten durchgeführt worden wäre. Darum wird auch berücksichtigt, dass dem Gesellschafter Aufwendungen entstanden wären, die er durch die vGA erspart hat. Diese ersparten Aufwendungen sind beim Gesellschafter grundsätzlich als (fiktive) Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar. Für außergewöhnliche Belastungen kann im Hinblick auf den einheitlichen Aufwendungsbegriff nichts anderes gelten als für Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben.
Das FG ist hier von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat daher – von seinem Standpunkt aus zu Recht – keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, in welcher Höhe die vGA in den Streitjahren 2012 bis 2014 auf die behinderungsbedingte Nutzung des Schlafzimmers im Haus 2 durch M entfallen. Dies hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen. Die Sache geht daher mangels Spruchreife an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.
BFH, Urteil v. 17.6.2025, VI R 15/23; veröffentlicht am 16.10.2025
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